Bundesgerichtshof:Ärzte haften nicht für künstlich hinausgezögerten Tod

BGH verhandelt über Haftung von Ärzten

Der 6. Zivilsenat beim Bundesgerichtshof hat sein Urteil über die Haftung wegen Lebenserhaltung durch künstliche Ernährung gefällt.

(Foto: dpa)
  • Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Ärzte nicht haften, wenn sie das Leben eines Patienten künstlich verlängern.
  • Weiterleben sei nicht als Schaden anzusehen, entscheidet die Richterin.
  • Ein Mann hatte geklagt, weil sein dementer Vater jahrelang mit einer Magensonde ohne Aussicht auf Besserung künstlich ernährt wurde.

Der medizinische Fortschritt macht es möglich, Menschen am Leben zu erhalten, die früher gestorben wären - was aber, wenn Ärzte deren Leiden damit künstlich in die Länge ziehen? Zu dieser schwierigen Frage hat der Bundesgerichtshof nun entschieden: Ärzte haften grundsätzlich nicht mit Geld, wenn sie einen Patienten zum Beispiel durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten und damit sein Leiden verlängern. Es verbiete sich generell, ein Weiterleben als Schaden anzusehen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe und wies eine Klage auf Schmerzensgeld und Kostenersatz im Namen eines verstorbenen Demenzkranken ab.

Geklagt hatte ein Mann, dessen dementer Vater bis zum Tod jahrelang ohne jede Aussicht auf Besserung über eine Magensonde ernährt wurde. Der Sohn hält das für einen Fehler und forderte als Alleinerbe vom behandelnden Hausarzt mehr als 150 000 Euro.

Die Summe setzt sich zusammen aus mindestens 100 000 Euro Schmerzensgeld und mehr als 52 000 Euro für Behandlungs- und Pflegekosten seit Anfang 2010. Ältere Ansprüche sind verjährt.

Der Vater, der sich damals nicht mehr bewegen und mitteilen konnte, war 2011 mit 82 Jahren gestorben. Ob er selbst die Ernährung per Magensonde gewollt oder abgelehnt hätte, weiß niemand mit Gewissheit. Er hatte nichts schriftlich verfügt und dazu auch nie etwas gesagt.

"Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu"

Das Oberlandesgericht (OLG) München war 2017 der Ansicht gewesen, dass der Arzt die Sondenernährung trotzdem nicht einfach hätte weiterlaufen lassen dürfen, ohne die Situation mit dem bestellten Betreuer gründlich zu erörtern. Wegen verletzter Aufklärungspflichten sprachen die Richter dem Sohn damals 40 000 Euro Schmerzensgeld zu.

Dagegen legte der Arzt mit Erfolg Revision ein. Auch der Sohn und dessen Anwalt hatten die OLG-Entscheidung angefochten, um ein Grundsatzurteil herbeizuführen. Aus ihrer Sicht werden medizinische Standards nur eingehalten, wenn Ärzte für Verstöße haftbar gemacht werden. Das müsse auch für die Behandlung am Lebensende gelten.

Dem wollten sich die BGH-Richter aber nicht anschließen. Die Vorsitzende Richterin Vera von Pentz sagte, es könne dahinstehen, ob der Arzt Pflichten verletzt habe. "Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu." Es fehle deshalb schon an einem immateriellen Schaden, der Schmerzensgeld-Ansprüche auslösen könnte.

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