Beziehungen zwischen China und Nordkorea:"Nah wie Lippen und Zähne"

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Die "Freundschaftsbrücke" über den Grenzfluss Yalu zwischen Nordkorea und China: Die beiden Staaten sind alte Verbündete. (Foto: AFP)

China ist verärgert wegen Nordkoreas Zündelei. Doch dass es den Verbündeten wirklich abstraft, ist längst nicht ausgemacht. Für China wäre ein Alliierter mit Atomwaffen noch das kleinere Übel - das größere wäre, dass ihnen dieser Alliierte wegbricht.

Von Kai Strittmatter

Die Welt hofft mal wieder auf China, jetzt, nachdem Nordkorea gezündelt hat. Und wenn die ersten Anzeichen nicht trügen, könnte sie bald erneut enttäuscht werden. Und das nicht, weil Chinas neue Führung diesmal mit der Welt nicht einer Meinung wäre. Im Gegenteil: China ist frustriert über seinen Nachbarn, China ist verärgert. Peking hat Pjöngjang mehrfach vor dem Atomtest gewarnt. Xi Jinping selbst, Chinas neuer starker Mann, versicherte einem Gesandten aus Südkorea vor drei Wochen erst, China könne "es nicht tolerieren, dass Nordkorea Atomwaffen besitzt". Am Ende kann es das aber wohl doch: Weil die alten Außenpolitiker in Peking einen Alliierten mit Atomwaffen in den Händen noch für das kleinere Übel halten. Das größere wäre es, wenn ihnen der Alliierte wegbräche.

Chinas Führung steckt noch mitten in der Machtübernahme. Im März erst, wenn der Nationale Volkskongress tagt, wird der neue KP-Generalsekretär Xi Jinping auch zum neuen Staatspräsidenten. Mitten in diesen Prozess hinein platzt Nordkoreas unterirdische Atomexplosion, sie ist der erste große außenpolitische Test für die neuen Herrscher.

Noch gibt es kaum konkrete Hinweise auf einen eigenen Weg Xi Jinpings. Xi wählt bei Reden nationalistische Töne, beschwört auffallend gern die "Wiedergeburt der chinesischen Nation", er hat seine guten Beziehungen zur Armee symbolisch aufgefrischt, mit Besuchen verschiedener Truppenteile. Er hat eine schrittweise Eskalation der Spannungen im ostchinesischen Meer zugelassen, wo China und Japan sich um die Senkaku-Inseln streiten, die in China Diaoyu heißen.

Aber die Krise hat er geerbt. Und wenn überhaupt, dann ist bei den Kräften, die Chinas Außenpolitik gestalten, Kontinuität festzustellen. Kein Wunder: In China herrscht ein Kollektiv. Ein eigener Stempel Xis, ein Bruch mit den Traditionalisten in Pekings Machtzentren, ein mehr als nur lauwarmes Vorgehen gegen Pjöngjang zu diesem Zeitpunkt, im Verein mit den Amerikanern gar, wäre jedenfalls eine Überraschung.

Nutzer sozialer Netzwerke üben Kritik

Neu ist die Stimme der Öffentlichkeit, die in China mit einem Mal auch die Außenpolitik ihrer Regierung kommentiert und kritisiert. Beim zweiten großen Atomwaffentest der Nordkoreaner 2009 hatten Chinas soziale Netzwerke - das prominenteste Beispiel ist der Mikrobloggingdienst Weibo - gerade erst das Licht der Welt erblickt. Nun aber finden sich dort die schärfsten Attacken auf den Nachbarn und auch auf Chinas anhaltende Unterstützung für ihn. "Wenn du so lange festhältst an einer ungerechtfertigten Außenpolitik, dann wagen es solche Leute auch, vor deiner Türe eine Stinkbombe losgehen zu lassen, während du in Ferien bist", schrieb der Forscher und Blogger Yu Jianrong von der Akademie für Sozialwissenschaften auf Weibo: "Dann lädst du sie ein, dich zu demütigen."

Ein Nutzer namens Long Can erklärte gar, wenn die USA nun ihre Truppen gegen Nordkorea mobilisierten, dann werde er einen ganzen Jahreslohn nach Washington überweisen. Selbst Blogger Zhang Hongming, der Mann hinter dem "Fanklub 'Von Xi Jinping lernen'" träumte am Mittwoch von einer "Erde ohne Atomwaffen". Es ist ein Ausdruck für Chinas Unmut über Nordkorea, dass die Zensur solche Meinungen passieren lässt, und dass sie in den letzten Wochen auch in parteieigenen Blättern scharfe Nordkorea-Kritik durchwinkte.

"Nordkoreas Atomtest wird die neue Führung um Xi Jinping zornig machen und China Kopfschmerzen bereiten", hatte Anfang des Monats der Pekinger Politikwissenschaftler Zhu Feng in der Singapurer Zeitung Lianhe Morning Post geschrieben. Und doch sah es am Mittwoch so aus als versuche man die Empörung einzufangen und - wie in früheren Fällen - die Wogen zu glätten. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua bemühte sich, die Einbestellung des nordkoreanischen Botschafters am Dienstag durch Chinas Außenministerium als große Geste zu verkaufen, ein solches Vorgehen sei "beispiellos", schrieb Xinhua. Und in der Tat: Früher bemühte sich Peking, seinen Ärger hinter den Kulissen zu übermitteln.

In der Welt der Diplomatie mag die Geste also eine schallende Ohrfeige sein, zweifelhaft jedoch, ob sie Nordkorea groß zu erschüttern vermag. Xinhua selbst nannte den Test nun lediglich "unklug". Von einem "hohen Preis", den Nordkorea zu zahlen habe, wie noch in der vergangenen Woche in der Pekinger Global Times zu lesen war, war keine Rede. Gleichzeitig schwärmten Pekinger Experten in Medien aus und warben vorauseilend um Verständnis dafür, wenn Peking auf schärfere Maßnahmen verzichte.

"Wir hoffen, dass alle Parteien Chinas strategische Interessen und Sicherheitsbedenken anerkennen und von Schritten absehen, die die Situation eskalieren lassen", sagte im Staatssender CCTV Zhang Xiao'an, die Vizevorsitzende des Verbandes der Vereinten Nationen in China. Und Guo Chongli von der Stiftung für Internationale Studien sagte der pekingnahen Hongkonger Zeitung Ta Kung Pao: "Die Idee, der nordkoreanische Test könne China und Nordkorea in Feinde verwandeln, ist falsch. Einige Leute im Westen hätten das gerne."

Noch steht die Antwort Chinas nicht fest, es lohnt sich, die nächsten Wochen Peking zu beobachten. Nicht im Außenministerium allerdings wird Chinas Außenpolitik gemacht, das Ministerium ist schwach und spielt lediglich die dritte Geige hinter anderen Akteuren. Im Falle Nordkoreas sind das an erster Stelle die Strategen der Volksbefreiungsarmee und die Abteilung für Internationale Beziehungen beim Zentralkomitee der KP.

Und dort herrscht unverändert die alte These vor, wonach China Nordkorea als Pufferstaat braucht, um sich die Amerikaner vom Leib zu halten, die mit Militärbasen in Südkorea sitzen. Die Waffenbrüderschaft ist eine alte: 200.000 Chinesen - darunter einer der Söhne Mao Zedongs - verloren ihr Leben im Koreakrieg. Nordkoreas Diktator Kim Il Sung hatte den Krieg im Juni 1950 mit Stalins Segen vom Zaun gebrochen und war in Südkorea eingefallen. Erst als die Amerikaner Kims Truppen zurückdrängten und fast bis zur chinesischen Grenze vorrückten, gab Mao den Befehl zum Angriff.

Alte Ängste sind wiederauferstanden

In China heißt es seither, die beiden Staaten seien einander "so nah wie Lippen und Zähne". Was nicht heißt, dass sie einander lieben. Misstrauen herrschte von Beginn an, bis heute erfährt man in Nordkoreas Kriegsmuseen nichts davon, dass allein Maos Truppen Nordkorea retteten. Und dass Pjöngjang sich bis heute weigert, Chinas Weg zu wirtschaftlicher Öffnung nachzuahmen, erntet beim großzügigen Nachbarn China, der Nordkorea heute 90 Prozent seines Öls liefert, mal resigniertes, mal zorniges Kopfschütteln.

Die alten Ängste aus dem Kalten Krieg sind heute in neuer Form wiederauferstanden. China fühlt sich den USA ohnehin schon lange in Rivalität um Einfluss und Macht in der Region verbunden. Spätestens seit US-Präsident Barack Obama den asiatisch-pazifischen Raum zum neuen Schwerpunkt amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik erklärte, sehen sich in Peking all jene bestätigt, die denken, die USA wollten China klein halten und verfolgten eine Strategie der Einkreisung.

Nordkorea ist einer der wenigen Alliierten Chinas - und nützt das aus. Beobachter wie Stephanie Kleine-Ahlbrandt, die Pekinger Büroleiterin von der Denkfabrik International Crisis Group, glauben, das alte, in chinesischen Medien oft wiederholte Mantra der chinesischen Nordkoreapolitik habe noch immer Bestand: "bu zhan, bu luan, wu he" - kein Krieg, keine Instabilität, keine Nuklearwaffen. Die Reihenfolge ist wichtig. Sie impliziert Prioritäten und bedeutet letztlich, dass die Anhänger dieser Schule bereit sind, den Kims eine begrenzte Anzahl von Nuklearwaffen zuzugestehen, solange das Regime nicht stürzt und das Nachbarland nicht im Chaos versinkt.

Prominente Stimmen fordern neuen Kurs

Viele in China glauben, dass Pjöngjang letztlich Atomwaffen besitzen wird und halten das am Ende für das kleinere Übel. Shen Dingli von der Internationalen Abteilung der Shanghaier Fudan-Universität sagte am Mittwoch dem staatlichen Rundfunk gar: "Auch die USA werden am Ende Nordkoreas Atomwaffen akzeptieren." Dabei ist Chinas größte Sorge ja nicht die Atombombe in den Händen Pjöngjangs - Peking fürchtet vielmehr, das könnte der Startschuss sein für ein nukleares Wettrüsten bei den anderen Nachbarn in Nordasien: bei Japan und Südkorea.

Es gibt auch prominente Stimmen unter Chinas Nordkoreaexperten wie Zhu Feng von der Peking-Universität oder Zhang Liangui von der Zentralen Parteihochschule, die einen neuen Kurs fordern: ein härteres Vorgehen gegen Pjöngjang, eine engere Kooperation mit den USA. Für einige Optimisten ist das der Lichtstreif am Horizont. Bei den Territorialstreitigkeiten im Ost- und im Südchinesischen Meer wird sich Peking ein Nachgeben nicht leisten, dort streitet man sich bitter mit den Alliierten der USA und mit den Vereinigten Staaten selbst. Im Falle Nordkoreas aber gäbe es eine große Überschneidung der Interessen - hier könnten die beiden Rivalen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit austesten.

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Pekings neue Führung dazu bereit ist. Dann, wenn der UN-Sicherheitsrat eine neue Runde von Sanktionen aushandelt. China wird wohl eine Reihe von Sanktionen mittragen. Die Frage ist, wie scharf sie sein werden und ob China sie dann auch wirklich umsetzt. Ob es also mehr sein wird als nur eine Schau der Unzufriedenheit mit einem verdrießlichen, aber unverzichtbaren Partner, an den man sich auf Gedeih und Verderb gekettet glaubt.

© SZ vom 14.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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