Beziehungen zu Russland:Sprung ins Ungewisse

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Dirk Wiese im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin (Foto: imago/tagesspiegel)

Der SPD-Politiker Dirk Wiese ist der jüngste Russlandbeauftragte in der Geschichte der Bundesrepublik. Dabei war er noch nie dort. Nun steht sein erster Besuch an.

Von Frank Nienhuysen, Berlin

Es wäre leicht, einfach nur sehr verwundert zu sein über so viel Nachholbedarf. Dirk Wiese ist seit einigen Wochen der neue Russlandbeauftragte der Bundesregierung, und er ist noch nie in Russland gewesen. Wiese legt großen Wert darauf, dass er nicht nur für Russland zuständig ist, sondern auch für die Länder Zentralasiens, des Kaukasus, für die Ukraine, für Weißrussland und Moldau. Dort war er auch noch nie. Wiese überlegt ein wenig, wie weit er bisher in den Osten gekommen ist, er nennt dann Riga, Lettlands Hauptstadt. Europäische Union. "Es hatte sich einfach noch nicht ergeben", sagt er. Aber er ist auch erst 34.

Und bald soll sich alles ändern.

In der nächsten Woche reist Wiese zum ersten Mal nach Russland, es wird also auch für ihn persönlich eine Reise über Grenzen hinaus. Wiese ist einer der Jungen in der SPD, einer, der noch viel vor sich hat - dazu gehört auch der Stapel Bücher auf dem Tisch seines Berliner Abgeordnetenbüros. "Russland begreifen. Wie Moskau über Deutschland wirklich denkt", heißt eines, das ihm empfohlen wurde. Ein Ukraine-Bildband liegt dort, ein Geschenk des Botschafters, und auch ein Buch seines Vorgängers Gernot Erler. Der kann sehr profund über die Welt und über Russland schreiben, weil er ein Vertreter der älteren SPD-Generation ist, Slawist und Russland-Kenner noch dazu. Auch Erler aber konnte nicht verhindern, dass sich im Verhältnis zwischen Russland und Deutschland zuletzt so viel Misstrauen angesammelt hat.

Als Wiese für das Amt vorgeschlagen wurde, hat er deshalb erst einmal kurz durchatmen müssen, dann sagte er sich: "Das mache ich." Er sagt, Sauerländer seien sehr pragmatisch. Viel zu verlieren hat er nicht. Wiese hofft, noch nicht in Russland gewesen zu sein, "kann in manchen Aspekten auch ein Vorteil sein, da ich unbefangen an die Aufgabe herangehen kann". Er will vor allem den Dialog zwischen den Zivilgesellschaften voranbringen. "Gerade mit Blick auf 2024, auf das Ende der Amtszeit Wladimir Putins, ist es wichtig, Kontakte zur jüngeren Generation zu knüpfen, die in der Duma und in der Administration dann mehr Verantwortung übernimmt", sagt er.

"Es ist wichtig, den Blick der jüngeren Generation auch noch Osten gehen zu lassen", sagt Dirk Wiese, SPD. Er war zuletzt Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. (Foto: PR)

Dialog ist dabei ein Wort, das Wiese sehr häufig benutzt. Als habe es Dialog bisher kaum gegeben, trotz allen Kulturaustausches, trotz des Petersburger Dialogs, der den Sinn in seinem Namen trägt, trotz der vielen Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Russland. Doch Wiese sagt, "viele, die sich in der Städtepartnerschaft engagieren, sind 65, 70 plus". Menschen, die aus der Friedensbewegung heraus den Austausch aufgebaut hätten. "Mein Fokus liegt auf der jüngeren Generation. Das ist vernachlässigt worden."

Wiese will das nun aufholen, vieles aufsaugen. Ein Stückchen weiter in Berlin, in seinem neuen Büro im Bundesaußenministerium. Vier junge russische Aktivistinnen sitzen eng um den Couchtisch. Menschenrechtlerinnen, Juristinnen der Organisation Open Russia, die von Michail Chodorkowskij finanziert wird. Sie erzählen von ihren Beobachtungen und von Manipulationen bei Wahlen, von Fällen fragwürdiger Strafverfolgung, blockierten Internetseiten und Wohnungsdurchsuchungen. Eine Krimtatarin berichtet von Schikanen im Alltag, vom schwierigen Anwaltsleben auf der Halbinsel. Wiese hat Zeit beim Zuhören, er muss ohnehin erst die Übersetzung abwarten. Er will wissen, wieso sie sich der Opposition angeschlossen haben, ob und wie sie in ihrer Arbeit behindert werden. Beim Abschied zeigt er Interesse, seine Gäste bei seinem ersten Russlandbesuch wiederzusehen. Ihnen ist es fast ein wenig unangenehm, "wegen ihrer schwierigen Raumverhältnisse in Russland". Aber Wiese sagt, "für einen Kaffee wird es bestimmt reichen". Es sei ihm nun mal wichtig, sich nicht nur einmal etwas anzuhören und es dann dabei zu belassen.

Beim Thema Sanktionen ist er strikt. "Nein", sagt er zu einer möglichen Aufhebung

Es ist schwer zu sagen, ob städtepartnerschaftliche Hilfe in Form von geschenkten Wasserpumpen, gemeinsamen Konferenzen, Ausstellungen oder der Austausch von Medizinern, Wissenschaftlern, Studenten retten können, was der großen Politik schwerfällt. Ein Koordinator für "Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft" kann natürlich nicht einfach das Verhältnis von Staaten umkrempeln. Schon gar nicht russische Positionen. "Der Spielraum für Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft wird in Russland enger", räumt Wiese ein. Da sind auch die jährlich 14 Millionen Euro, mit denen die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften gefördert wird, ein relativer Wert. Wiese sagt, "jetzt gucken wir mal, was Putins Amtszeit bringt. Wir sollten uns keine Illusionen über eine plötzliche Kehrtwende machen, sondern müssen Inseln der Kooperation finden, wo wir im Gespräch bleiben müssen." Ihm ist klar, "das ist nicht einfach, es wird auch einige Rückschläge geben, aber es ist notwendig."

Vor allem in der SPD, seiner Partei, ist zuletzt geräuschvoll über Russland geredet worden. Außenminister Heiko Maas galt schnell als einer, der sich von den Positionen wie der von Sigmar Gabriel distanzierte, der sich schon jetzt gut eine Lockerung der Sanktionen vorstellen könnte. Wiese hält eine Polarisierung in Putin-Versteher oder außenpolitischer Falke nicht für sinnvoll, "ich will davon wegkommen, denn da ist sehr viel dazwischen." Aber beim Thema Sanktionen ist er strikt. "Nein", sagt er zu einer möglichen Aufhebung. "Die Sanktionen beruhen auf einer völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, die gerade gegen die Entspannungspolitik von Brandt und Bahr diametral verstößt." In der Ostukraine sei nicht mal die erste Vereinbarung umgesetzt: ein dauerhafter Waffenstillstand.

Doch das ist ein Thema, das bei seiner Russlandreise keine große Rolle spielen dürfte. Wiese spricht lieber vom bevorstehenden deutsch-russischen Jahr der Wissenschafts- und Hochschulkooperation, von den Hanse-Tagen der Neuzeit, die nächstes Jahr in Pskow und 2020 in seiner Heimatstadt Brilon stattfinden. Das sind Felder, die derzeit mehr versprechen.

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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