Süddeutsche Zeitung

Beziehung zwischen Linken und Juden:Geschichte von Nähe und Hass

Das Verhältnis von Linken und Juden ist schwierig - spätestens seit Israel eine Besatzungsmacht ist. Doch die israelische Politik lässt sich auch kritisieren, ohne antisemitische Stereotype zu bemühen.

Von Matthias Drobinski

Was hätte der Linken-Fraktionschef Gregor Gysi dem Mann sagen können, der ihn da vor einigen Tagen bis auf die Bundestags-Toilette verfolgte und rief: "Bin ich ein Antisemit?" Die Antwort wäre nicht so leicht gewesen. Der Journalist lebt in Israel, wirft aber Land und Regierung Rassismus vor, der letztlich nicht besser sei als jener der Nazis. Gysi hätte zum Beispiel sagen können: "Ja, Sie tragen dazu bei, dass es Antisemitismus und Judenhass in Deutschland gibt." Er hätte noch hinzufügen können, dass dies ein Teil der schwierigen, tragischen und auch mörderischen Geschichte des Verhältnisses zwischen Linken und Juden ist.

Tragisch ist diese Geschichte, weil sie von Nähe wie von Hass erzählt. Die Eltern von Karl Marx haben jüdische Wurzeln, und doch veröffentlicht er 1844 die Schrift "Zur Judenfrage". "Welches ist der weltliche Grund des Judentums?" heißt es da. Die Antwort: "Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld." Antikapitalismus und Antisemitismus haben einander gefunden. Trotzdem verstehen sich viele Juden als Sozialisten oder Kommunisten, in der nationalsozialistischen Propaganda sind die "jüdischen Bolschewiken" ein feststehender Begriff. Juden wie Bolschewiken landen im Konzentrationslager. Das jüdische Antifaschistische Komitee sammelt im Ausland für den Kampf der Sowjetunion gegen Hitler. Stalins Dank bleibt aus: Tausende Juden werden als "Kosmopoliten" eingekerkert und ermordet.

Und doch scheint nach dem Ende Nazideutschlands zumindest im Westen klar zu sein, dass die Linke und die überlebenden Juden zusammengehören. Beide verbindet der Antifaschismus, beide leiden an einer Gesellschaft, die verdrängen und vergessen will, beide kämpfen gegen alte Nazis, die in der neuen Bundesrepublik wieder zu Amt und Würden kommen; beide sind begeistert von der Kibbuz-Bewegung in Israel. In der DDR ist da schon das Verhältnis ambivalent: Als NS-Opfer und Beweis, dass im Osten das bessere Deutschland lebt, sind Juden willkommen - als Zionisten sind sie Handlanger der imperialistischen USA.

Israel wird zum Feindbild

Der Bruch kommt 1967. Innerhalb von sechs Tagen besetzt die israelische Armee den Gazastreifen und das Westjordanland, den Sinai, die Golanhöhen. Israel ist nicht mehr das kleine, bedrohte Land. Es ist zur Besatzungsmacht geworden, mit Hilfe der USA. Und damit wird in einem dramatischen Schwenk Israel zum Feindbild der aufbegehrenden Studenten: Zeigt hier nicht der Imperialismus seine Fratze, sind die Juden in Israel nicht faschistisch und rassistisch, gestützt von den amerikanischen Kapitalisten? Bei der Einschätzung der Juden gleichen sich Väter und Söhne manchmal erschreckend.

Es bleibt nicht bei Worten. In der Nacht des 9. November 1969 verüben Aktivisten der "Tupamaros Westberlin" einen Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum: "Jede Feierstunde unterschlägt, dass die Kristallnacht von 1938 heute tagtäglich von den Zionisten in den besetzen Gebieten (. . .) wiederholt wird", begründen sie ihre Tat, "aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden." Die Szene lehnt den Anschlag ab, die Begründung weniger.

Für die damals 30 000 Menschen kleine jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist das ein Schock, der bis heute wirkt - aus der Nähe zur Linken wird bei vielen Misstrauen und Ablehnung, die Wende wird als Verrat empfunden. Aus der Nähe wurde gegenseitige Ablehnung - noch stärker bei der westdeutschen Linken als bei der ostdeutschen, deren Antizionismus 1989 den Rang der Staatsraison verlor. Es ist kein Zufall, dass die Abgeordneten Inge Höger und Annette Groth, die jene anti-israelische Veranstaltung organisierten, die zum Skandal führte, aus dem Westen kommen.

Man kann die israelische Politik nicht mehr kritisieren, ohne als Antisemit hingestellt zu werden - der Vorwurf kommt oft. Daran stimmt, dass die israelische Regierung wie jüdische Organisationen ausgesprochen empfindlich auf Israelkritik reagieren, auch überreagieren. Es stimmt aber auch: Man kann sehr wohl die Palästinenser- und Kriegspolitik Israels scharf kritisieren, ohne antisemitische Stereotype zu bemühen.

taz-Redakteur: Nazis würden mit Juden gleichgesetzt

Der damalige taz-Redakteur Philipp Gessler hat diese einmal so zusammengefasst: Es sei die "Identifikation ,der Juden' mit Geld, modernisiert durch das Vokabular der Globalisierungskritik", das "Konstrukt einer globalen Verschwörung" und die "erinnerungsabwehrende Haltung", bei der Nazis und Juden gleichgesetzt würden. Dazu gehöre auch eine einseitige Parteinahme für die Palästinenser, die alle Menschenrechtsverletzungen auf dieser Seite ausblende.

Es fallen nicht nur Politiker der Linken in solche Stereotype: Auch katholische Bischöfe redeten vom "Ghetto", als sie 2007 vor der Mauer standen, die Israelis und Palästinenser trennt. Es gibt auch genügend Politiker der Linken, die kritisch gegenüber Israel sind, ohne sich der Vorurteile zu bedienen, ob Gregor Gysi, Katja Kipping oder Petra Pau. Es ist aber doch die Linke, der diese Form von Antisemitismus immer wieder zu schaffen macht.

Schon 2011 schrieb Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in der Süddeutschen Zeitung: "Der alte anti-zionistische Geist der DDR spukt noch in der Partei. Paradoxerweise sind es heute vor allem Vertreter aus dem Westen, die ihren geradezu pathologischen, blindwütigen Israel-Hass ausleben." Es war ein zorniger Beitrag, der in der Partei empörten Widerspruch auslöste. Der jetzige Vorfall dürfte da kaum der Freundschaft dienen.

Vielleicht war es wirklich am besten, dass Gregor Gysi nicht auf die Antisemitismus- Frage antwortete und einfach die Toilettentür schloss.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2014/fie
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