Beziehung zur EU:Warum Norwegens Modell kein Vorbild ist

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Die Oper in Oslo ist eines der bekanntesten Gebäude in Norwegen. Das ölreiche Land ist nicht Mitglied der Europäischen Union, aber es übernimmt eine Vielzahl von EU-Regelungen. (Foto: AFP)

EU-Skeptiker wollen wie Norwegen sein. Denn es gehört nicht zur EU, sondern kooperiert nur mit ihr. Einige Briten glauben, dass Oslo dadurch Ärger mit Brüsseler Bürokraten vermeide. In Wirklichkeit aber riskiert Norwegen damit seine Souveränität.

Ein Gastbeitrag von Tonje Olsrud, Oslo

Die norwegische Berichterstattung über EU-Themen lässt generell sehr zu wünschen übrig. Wir sind nicht Mitglied dieses Klubs, aber natürlich von Brüsseler Entscheidungen und Entwicklungen betroffen. Mit ein wenig Übertreibung könnte man sagen, dass sich in Norwegen die Diskussion über die EU auf folgende Aspekte konzentriert: die Beschränkungen zum Krümmungsgrad von Gurken, der zulässige Höchstwert von Cumarin in Zimtschnecken und wie das Schengen-Abkommen die norwegische Gesellschaft in die Knie zwingt.

Während Letzteres eine ehrliche und eingehende Debatte verdient hätte, verdeutlichen die anderen beiden Themen, auf welch boulevardhafte Weise EU-Richtlinien von den norwegischen Medien behandelt werden. Dies ist bezeichnend für das allgemein geringe Interesse an EU-Themen. 2013 war nur ein norwegischer EU-Korrespondent permanent in Brüssel akkreditiert, noch entscheidender aber ist, dass über wichtige Diskussionen und Entscheidungen - wenn überhaupt - erst im Nachhinein berichtet wird.

Bedenkt man die eben beschriebene Grundhaltung, dann haben die norwegischen Medien also über die jüngsten Wahlen zum Europaparlament überraschend gut berichtet. Natürlich konnten wir selbst nicht abstimmen. Da in Norwegen jedoch fast drei Viertel der in Brüssel verabschiedeten Gesetze übernommen werden, wird das Wahlergebnis Einfluss auf die Innenpolitik haben und daher wäre es für Norwegen von großem Interesse, gut informiert zu sein.

Medien werten Resultat als Zeichen der Unzufriedenheit mit EU

In allen Zeitungen sowie in den Abendnachrichten wurde ausführlich über die Wahl berichtet. Die Boulevardmedien haben dabei Überschriften verwendet wie "Erdbeben-Wahlen" und "Wahlsieg für die Euroskeptiker". Sie argumentieren, dass der Triumph von Marine Le Pens Front National sowie der von Nigel Farage geführten United Kingdom Independence Party und anderer Protestparteien den Sieg der Menschen über die föderalistische Elite in Brüssel darstelle. Danach spiegele sich im Wahlergebnis angeblich die steigende Unzufriedenheit wider, und es wird suggeriert, dass die Euro-Krise und die hohe Arbeitslosenrate dazu geführt hätten, dass der Durchschnittsbürger den Glauben an das europäische Projekt verliert.

Die zu erwartende niedrige Wahlbeteiligung hat ebenfalls für viele Kommentare gesorgt, da sie auf das demokratische Defizit der EU verweist und die Legitimität der wichtigsten EU-Institutionen in Frage stellt, allen voran die des Europäischen Parlaments und des Kommissionspräsidenten. Abgesehen von den eigenen Berichten über die Trägheit der Wähler scheinen nur wenige Journalisten über ihren eigenen Anteil daran nachgedacht zu haben bzw. über die Bemühungen der EU, die Kommunikation mit ihren Bürgern zu verbessern. Ich habe fast keinen Artikel über die Wahlkampagne der Spitzenkandidaten gesehen, die ein eindeutiger Versuch der EU war, die Wahlen zuordenbar zu machen.

Allgemein kann man sagen, dass die norwegische Wahlberichterstattung die Erwartungen hinsichtlich Quantität übertroffen, aber hinsichtlich Qualität unterboten hat. Mir ist aufgefallen, dass keine Artikel oder Kommentare erschienen sind, die sich mit den Auswirkungen der Zusammensetzung des neuen Parlaments auf die tägliche Arbeit in Brüssel beschäftigen. Während die symbolische Wirkung der Wahlen sehr viel Aufmerksamkeit erfahren hat, wurden nur wenige Zeilen verwendet, um auf den Entscheidungsprozess innerhalb der EU einzugehen; auf die Machtverteilung zwischen den Gruppen, Institutionen sowie Mitgliedstaaten und die diesem System inhärenten undemokratischen Tendenzen.

Warum sind Fragen nach der norwegischen Berichterstattung in einem größeren Rahmen wichtig? Hier sind zwei Faktoren relevant. Hätten die norwegischen Medien angemessen über die Wahlen berichtet, hätten sie als Weckruf dienen können. Norwegens dauerhafte Beziehung mit der EU wird durch das Abkommen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) geregelt, das Erik O. Eriksen vom ARENA Zentrum für Europastudien an der Universität von Oslo als "dynamisches Rahmenwerk-Abkommen" beschreibt. Das bedeutet, dass nicht jedes Mal nachverhandelt werden muss, wenn die EU einen einschlägigen neuen Rechtsakt verabschiedet, sondern die kontinuierliche Übernahme neuer Richtlinien und Änderungen erleichtert wird, um die Konformität der EWR-Länder mit der Union als Ganzes zu erhalten.

Abseits des Entscheidungsprozesses

Als Nichtmitglied hat Norwegen weder Stimme noch Zugang zu den förmlichen Verhandlungen. Während EU-Mitgliedstaaten nationale Souveränitätsrechte aufgegeben und im Gegenzug dafür Mitbestimmungsrechte über gemeinsame Anliegen erhalten haben, steht Norwegen abseits des Entscheidungsprozesses und muss das Ergebnis so akzeptieren wie es vorliegt. Zwar besteht das offizielle "Recht auf Vorbehalt", es wurde bislang aber noch nie in Anspruch genommen. Hier liegt Norwegens derzeit größte demokratische Herausforderung, doch wird sie nur sehr schlecht kommuniziert. Die Wahlen hätten eine Diskussion über das demokratische Defizit auslösen können, von der auf lange Sicht sowohl Oslo als auch Brüssel profitiert hätten.

Die Stellung Norwegens als Land sowohl innerhalb als auch außerhalb des Systems wird auch von euroskeptischen Gruppen aufmerksam als Alternative zur vollen Mitgliedschaft beobachtet. Als ich kürzlich in England an einer Diskussion über die gegenwärtigen Herausforderungen für das europäische Projekt teilnahm, wurde ich auf die besondere Beziehung zwischen Norwegen und der EU angesprochen: "Sie wissen, dass das norwegische Model für die UKIP eine sehr attraktive Möglichkeit darstellt. Am Binnenmarkt teilnehmen, ohne sich täglich mit der Brüsseler Bürokratie auseinandersetzen zu müssen ...? Perfekt."

Der norwegische Ansatz wird als möglicher Ausweg aus gegenwärtigen Verpflichtungen gesehen. Auch wenn die Beziehung zwischen Norwegen und der EU besonders ist, ist sie kein Modell, das von anderen europäischen Staaten nachgeahmt werden sollte, weder von denen, die Mitglied sind und aussteigen wollen noch von denen, die nicht Mitglied sind, aber es werden möchten. Auch wenn es paradox erscheint, aber meiner Ansicht nach gefährdet das norwegische Model die Souveränität, die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung - genau jene Prinzipien, derentwegen die Norweger die volle Mitgliedschaft ursprünglich abgelehnt haben.

In der jungen europäischen Öffentlichkeit, genauso wie in den verschiedenen nationalen Debatten, sollten ermutigende Gespräche darüber geführt werden, wie man innerhalb des existierenden Systems arbeiten kann, anstatt so etwas wie das norwegische Assoziationsmodell zu fördern.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. In der Serie kommen junge Europäer zu Wort - streitbar, provokativ und vielfältig.

Die Norwegerin Tonje Olsrud, 26, hat Internationale Beziehungen an der Universität Stellenbosch in Südafrika studiert. Zurzeit arbeitet sie in Oslo in der Fritt-Ord-Stiftung in den Themenfeldern Redefreiheit, Demokratische Teilhabe und Pressefreiheit.

An English version of the text will be available at the website of FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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