Bewusstseinswandel durch neue Führungsspitze:Linke verabschiedet sich von Bunkermentalität

Endlich kehrt Frieden ein: Den neuen Vorsitzenden Kipping und Riexinger scheint es zu gelingen, die Konflikte innerhalb ihrer Partei zu beenden. Doch die Spekulationen um die Kandidaten für die Bundestagswahl könnten für neuen Diskussionsstoff sorgen.

Daniel Brössler, Berlin

Linke stellen Rentenkonzept vor

Die neue Führung der Linkspartei wirkt jünger und benimmt sich erwachsener als die alte.

(Foto: dpa)

Wenn es eine Schonfrist gab, dann war sie nach drei Monaten vorbei. Auf den 5. September ist ein Brief der ostdeutschen Landes- und Fraktionsvorsitzenden an die im Juni gewählten Linken-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger datiert. Im geschäftsführenden Parteivorstand sei der in der DDR sozialisierte Teil der Mitgliedschaft "kaum, eigentlich nicht mehr vertreten, obwohl wir als ostdeutsche Landes- und Fraktionsvorsitzende zu zwölft und einstimmig darum gebeten hatten", bemängelten die Absender. Die Stärken der Partei lägen bislang überwiegend in Ostdeutschland. Ergo: "Wir erwarten mehr Respekt."

Überraschend kam der Brief nicht. Zum einen nicht, weil die Linkspartei in ihrer kurzen Geschichte bereits auf ein reiches Repertoire an Konflikt und Kabbelei zurückblickt, zum anderen, weil nach dem dramatischen Erfurter Parteitag etliche offene Rechnungen auf dem Tisch lagen. Die größte hatte der Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi, ausgestellt, der sich nach Jahren als Vermittler und Moderator zum Wortführer ostdeutschen Unmuts in der Partei aufschwang. Es sei, hatte er gewarnt, "sogar besser, sich fair zu trennen, als weiterhin unfair mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachreden und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen".

Die Kunst des Zuhörens

Eine Überraschung war es nach Bekanntwerden des Briefes, dass er keinen neuen Sturm des Streits entfachte. Umgehend nach Erhalt des Schreibens beriefen Kipping und Riexinger eine Telefonkonferenz mit den Autoren ein. Gesprochen wurde über die Vorwürfe, etwa den, dass unkorrekte Mitgliederzahlen im Westen die Machtverhältnisse in der Partei verzerrten. "Sie haben sofort das Gespräch mit den Absendern gesucht und damit das einzig Richtige getan", lobt Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag. Die "Kunst des Zuhörens" hatten die neuen Vorsitzenden sich im Juni in einem 120-Tage-Programm verordnet. Sie boten der zerstrittenen Partei so etwas wie neue Nettigkeit. Das kam an.

"Die letzten vier Monate waren gute Monate für die Linke", verkündet Kipping, als sie am Montag zusammen mit Riexinger zur 120-Tage-Bilanz vor der Presse erscheint. Natürlich seien nicht alle Konflikte verschwunden, man habe aber gelernt, sie konstruktiv auszutragen. Die "Kunst des Zuhörens" sei "sehr positiv angekommen", ergänzt Riexinger. Überhaupt achten der Schwabe und die Sächsin darauf, einander zu ergänzen. Nach ihrer so nicht geplanten Wahl hatten Riexinger, 56, und Kipping, 34, bekundet, sie müssten sich erst einmal kennenlernen. Mittlerweile scheint die ungewohnte Mischung der Partei zu bekommen. Die neue Führung wirkt jünger und benimmt sich erwachsener.

Papier markiert Tonwechsel

Etwa dann, wenn es um den Umgang mit SPD und Grünen geht. Bislang schien die Parole immer nur Angriff zu heißen. Exemplarisch dafür stand Oskar Lafontaine, seine Nachfolger Gesine Lötzsch und Klaus Ernst aber hielten es nicht anders. In einem Wahlpapier schlugen Kipping und Riexinger indes einen neuen Ton an. Die Koalitionsfrage müsse "selbstbewusst und offensiv beantwortet" werden, forderten sie. Die Partei sei zur Bildung einer Linksregierung mit SPD und Grünen bereit, sofern diese "Reichtum couragiert besteuert", sicherstelle, dass "kein Mensch unter 1000 Euro im Monat fällt", und eine "friedliche Außenpolitik" betreibe, wozu unter anderem ein sofortiger Stopp von Rüstungsexporten gehöre.

Tatsächlich markierte das Papier mehr einen Ton- als einen Politikwechsel, weil die genannten Bedingungen eine Koalition 2013 fast unmöglich erscheinen lassen. Das Ziel ist ein Bewusstseinswandel in einer vielerorts von Bunkermentalität geprägten Linken. Kipping nennt die Rot-Rot-Grün-Überlegungen denn auch ein "Angebot an die Partei". Es ist ein Angebot, das durchaus auch auf Skepsis gestoßen ist. Offene Angriffe auf die Führung aber sind selten. Das hat auch mit Erleichterung zu tun. "Vorher hatten wir Vorsitzende, die kein Fettnäpfchen ausgelassen haben", sagt Ramelow. Nun sei es umgekehrt. Das zahlt sich aus. Mit bis zu acht Prozent liegen die Linken in Umfragen bereits drei bis vier Punkte höher als im Frühjahr.

Spekulationen um Spitzenkandidaten

Auch nach der Kür von Linken-Lieblingsfeind Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten will Kipping Kurs halten. "Die SPD muss sich entscheiden, ob sie ihrem Kandidaten nach rechts oder ihrem Herzen nach links folgt", fordert sie. Noch sei die Koalitionsoption nicht passé. "Über Bündnisoptionen entscheiden Parteitage, wenn sie klug sind nach der Wahl. Es gibt weder bei uns noch bei der SPD einen Parteitagsbeschluss, der für 2013 etwas ausschließt", sagt Kipping. "Solange das so bleibt, gibt es für uns keinen Anlass, unsere Strategie für einen Politikwechsel zu korrigieren."

Schmallippig werden die Vorsitzenden nur, wenn es um die Spitzenkandidaten für 2013 geht. Im Gespräch sind Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, entschieden aber ist nichts. Das Vorschlagsrecht liegt beim Vorstand. Offiziell. Donnerstagmittag waren Gregor Gysi und Oskar Lafontaine mal wieder zusammen essen.

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