Bevölkerungsschwund in Ostdeutschland:Wie Schleswig-Holstein ohne Kiel und Lübeck

Am kommenden Montag ist Tag der Deutschen Einheit. Ein Feiertag. Nicht so feierlich ist die Bevölkerungsentwicklung: Während der Westen wächst, blutet Ostdeutschland aus. Zwar langsamer als in den Neunzigern, aber stetig.

Sven Böll

Wer heute durch die ländlichen Regionen Ostdeutschlands fährt, dem bieten sich zum Teil bedrückende Bilder. In den Dörfern ist die Straße zwar frisch geteert, der Bürgersteig rot gepflastert und auch die Laternen auf dem neuesten Stand des Designs. Aber rechts und links der Straßen sehen viele Häuser aus, als habe es die Wiedervereinigung nie gegeben. Oft stehen sie sogar leer und verfallen. Wer danach fragt, wo er junge Leute treffen kann, der bekommt häufig eine resignierte Antwort: "Die sind doch fast alle weg". Meistens zeigt der Gesprächspartner dann gen Westen.

Die fünf neuen Bundesländer (ohne Berlin) haben seit der Wiedervereinigung über 1,3 Millionen Menschen verloren - das sind fast neun Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Bevölkerungszahl in Deutschland um über 2,7 auf 82,5 Millionnen. Dies zeigt, dass die Entwicklung in Westdeutschland komplett gegensätzlich war. Auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik (inklusive Berlin) leben heute fast vier Millionen Einwohner mehr als 1990. Das entspricht einem Anstieg um sechs Prozent.

Aufgeschlüsselt nach Bundesländern ist der Bevölkerungsverlust in bestimmten Regionen Ostdeutschlands noch deutlicher: So kann Brandenburg offenbar davon profitieren, den Speckgürtel um Berlin zu bilden: Hier ist die Bevölkerung heute nahezu genauso hoch wie vor 15 Jahren.

Bevölkerungsrückgang schwächt sich ab

Insbesondere die wirtschaftlich schwächeren neuen Bundesländer leiden unter einem Bevölkerungsschwund. Während in Sachsen und Thüringen die Einwohnerzahl 'nur' um zehn Prozent zurückging, waren es in Mecklenburg-Vorpommern elf und in Sachsen-Anhalt sogar 13 Prozent. Überträgt man die Entwicklung Sachsen-Anhalts auf das fast ebenso große Schleswig-Holstein, bedeutete dies: Seit 1990 wären die zwei größten Städte Kiel und Lübeck nahezu komplett ausgestorben.

Insgesamt rund 900.000 Menschen mehr haben in den Jahren seit der Wiedervereinigung Ostdeutschland in Richtung Westdeutschland verlassen als umgekehrt. Der übrige Bevölkerungsverlust ist auf die Abwanderung ins Ausland zurückzuführen sowie die in Ostdeutschland verschärfte demographische Entwicklung. So ist die Anzahl der Todesfälle seit Anfang der Neunziger höher als die der Geburten. Allerdings hat sich dieser Trend in den vergangenen Jahren etwas abgeschwächt.

Gleiches gilt auch für die Binnenwanderung. Zogen etwa 2001 noch fast 200.000 Menschen von Ost nach West und nur knapp 100.000 in die umgekehrte Richtung, hat sich der Wanderungssaldo aus Sicht der neuen Bundesländer im vergangenen Jahr halbiert: Die Anzahl der Wegzüge überstieg die der Zuzüge 'nur' noch um gut 50.000. Allerdings kehren nach wie vor überwiegend junge Menschen unter 30 Ostdeutschland den Rücken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: