Bevölkerungspolitik:Zur Begrüßung ein Kalb

Ein japanisches Dorf kämpft mit ungewöhnlichen Mitteln gegen den Bevölkerungsschwund - und hat Erfolg. Leider nicht so, wie erwünscht.

Von Christoph Neidhart

Die kleine japanische Gemeinde Mishima, zu Deutsch "drei Inseln", ist nur mit einer Fähre erreichbar, die dreimal pro Woche verkehrt. Die Menschen leben von der Fischerei und etwas Landwirtschaft, es gibt kaum Jobs, keine Klinik, wenig Kinder, fast keine jungen Erwachsenen, dafür viele Alte. Das ist das Problem.

Der Gemeinde geht es so wie vielen im ländlichen Japan: Die Bevölkerung schrumpft, sie droht langsam auszusterben. Einige Dörfer locken deshalb junge Neu-Ansiedler mit kostenlosem Bauland, andere mit Geld. Die Inselgemeinde Mishima indes hat einen anderen Anreiz gewählt. Die Gemeinde lockt mit einem lebendigen Kalb als Begrüßungsgeschenk. Damit versetzt das 372-Einwohner-Dorf im äußersten Südwesten Japans das ganze Land in Staunen. Seit einigen Wochen kommen die Anfragen gleich massenweise herein, die winzige Gemeindeverwaltung, die seit Jahrzehnten nur ein stetes Schrumpfen der Bevölkerung verzeichnete, angefangen bei ursprünglich mehreren Tausend Einwohnern, weiß sich vor Interessenten kaum mehr zu retten.

25 Jahre lang hatte es niemanden interessiert, dass Mishima herkömmliche Geldprämien auslobte. Es änderte sich auch nichts, als das Dorf, das sich auf drei subtropische vulkanische Inseln verteilt, die Summen vor zwei Jahren anhob, auf eine halbe Million Yen Begrüßungsgeld, umgerechnet 3700 Euro, sowie einen monatlichen Zuschuss in den ersten drei Jahren. Die einzige Bedingung, welche die Gemeinde dabei aufstellte, war eine Altersgrenze: Der Haushaltsvorstand der Neu-Ansiedler dürfe nicht älter als 55 Jahre sein. Reaktionen blieben aus, es zog niemand nach Mishima. Doch nun flattern plötzlich Dutzende Bewerbungen ins Haus - vor allem aus Serbien, Kroatien und Brasilien.

Der Ansturm auf Mishima wurde vermutlich von der Internetseite "rocketnews24" ausgelöst, die regelmäßig über Sonderbares aus Nippons Alltag berichtet. Blogger in Serbien, Kroatien und Brasilien griffen die Meldung auf, vermuten japanische Medien. Eine japanische Staatsbürgerschaft war in Mishimas Angebot schließlich keine Voraussetzung. Die Gemeindeverwaltung bemüht sich trotzdem nach Kräften darum, die zahlreichen Interessenten sanft abzuweisen und ihr Versprechen eines lebenden, blökenden Begrüßungsgeschenkes nicht einlösen zu müssen: Bewerber müssten Japanisch können, erklärt die Gemeinde. Gerade hat sie ihr Angebot erst einmal ausgesetzt. Bis auf Weiteres.

Japans Bevölkerung nimmt seit fünf Jahren ab, im Jahr 2013 zum Beispiel um 244 000 Menschen, dieser Trend beschleunigt sich seit Jahren. Bis 2040, so hat das Nationale Institut für Bevölkerung errechnet, soll es bereits 20 Millionen Japaner weniger geben als noch 2010. Der frühere Innenminister Hiroya Masuda warnt, die Hälfte aller Gemeinden würde bis dahin nicht überleben.

Ein Kalb zur Begrüßung ist da nicht die einzige originelle Idee, um die Verödung der Dörfer zu stoppen: Die Präfektur Akita im Norden versucht, junge Frauen mit staatlich organisierten Kontakt-Partys zurückzuhalten. Gebracht hat es nichts. Allein die Inselgemeinde Mishima hat bislang eine größere Erfolgsgeschichte zu erzählen.

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