Bevölkerungspolitik in den USA:Hispanics gelten als eigene "Rasse"

Schwarz oder weiß? Die Antwort auf diese Frage fiel Hispanics in den USA bisher schwer. Doch nun gelten sie dort als eigene "Rasse". Damit werden sie mancherorts zur entscheidenden Wählergruppe - und es geht auch um Geld.

Peter Richter, New York

Mitarbeiter des amerikanischen Statistikamtes werden oft mit der Geschichte zitiert, wie sie in Harlem eine Familie befragen, welcher "Rasse" sie denn jetzt angehöre: Weiß? Schwarz? Und als Antwort kommt: "Puerto Rico".

Hispanic Day Parade in New York

Die "Hispanic Day Parade" in New York.

(Foto: REUTERS)

Was bleibt dieser Familie auch anderes übrig? Auf den Umfragebögen der Volkszähler sind solche wie sie nicht vorgesehen. Es gibt African und Asian Americans, es gibt die Weißen und es gibt American Indian/Alaska Native. Es gibt sogar Pacific Islander, Menschen, die von den Südseeinseln stammen. Aber es gibt keine "Hispanics". Hispanics werden da maximal als Ethnie betrachtet, so als sei von Mexiko bis Chile und von Kuba bis Peru kulturell alles eins.

"Rasse" ist in Amerika laut United States Census Bureau eine "soziale Definition". Die Erhebungen stellen keinen Versuch dar, "Rasse biologisch, anthropologisch oder genetisch zu definieren". Die entsprechenden Statistiken beruhen auf "Selbstidentifikation" der Bürger.

Nun hat das Census Bureau einige Neuerungen angekündigt. Erstens: Das Wort "negro" wird nicht mehr verwendet werden; immer weniger Schwarze, heißt es, hätten sich zuletzt noch mit dem Begriff identifizieren können, der damit die letzte Legitimität zu verlieren scheint, die er überhaupt noch hatte - die einer Selbstbezeichnung. Zweitens: Araber sollen sich als solche kenntlich machen können. Und vor allem drittens: Die Hispanics sollen bei der nächsten Volkszählung, die für 2020 ansteht, als eigenständige Rasse gelten.

Das sind keine Kleinigkeiten, solche Begriffe sind im Amerika heikle Angelegenheiten und es geht am Ende, wie immer, auch ums Geld. Anhand der Frage, wer sich als was identifiziert, bemisst sich in den Statistiken das Verhältnis der Bevölkerungsgruppen untereinander, und davon hängt die Budgethöhe staatlicher Programme ab. Wenn Hispanics, die sich vorher unter weiß, schwarz oder irgendetwas anderem einsortiert hatten, geschlossen als Hispanics registrierten, wären sie die am stärksten wachsende Rasse in den USA.

Lieber die Republikaner als einen Schwarzen

Das alles hieße nämlich auch, dass ausgerechnet die Vereinigten Staaten nach fast hundert Jahren ein Konzept des mexikanischen Intellektuellen José Vasconcelos zur staatlichen Sprachregelung erheben, das für viele weiße Amerikaner, besonders im Südwesten, einem Menetekel gleichkommt. Vasconcelos hatte 1925 in einer einflussreichen Schrift die "raza cósmica" ausgerufen, die kosmische Rasse, die Indianisches, Afrikanisches, Asiatisches und Europäisches amalgamiert und auf eine neue, höhere Stufe hebt.

Es ist das seltene Beispiel eines rassistischen Traktats, das fröhlich zur Vermischung aufrief. Der Mestize wurde darin faktisch mit der gleichen apodiktischen Überzeugung als kulturell höherwertig hingestellt wie nördlich des Rio Grande der Weiße. Das Buch setzt ganz praktisch da an, wo Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" aufhörte, nämlich mit der These, dass dann jetzt eben die Zeit der Latinos gekommen sei. Der Weiße spielte in diesem Konzept ungefähr die gleiche Rolle wie heute in Deutschland die Atomkraft: die einer Brückentechnologie, die es ermöglichen soll, durch etwas Besseres ersetzt zu werden. Vasconcelos spricht tatsächlich von "Brücke": "Seine Mission ist es, als Brücke zu dienen. Der Weiße hat die Welt in eine Situation versetzt, in der alle Arten und alle Kulturen verschmelzen können."

Das Buch ist also nichts, was man einem texanischen Redneck zum Geburtstag schenken sollte - immerhin gibt es Latino-Aktivisten, die ganz ernsthaft an der Wiederherstellung des mythischen Aztekenreiches Aztlán festhalten, das auch den Südwesten der USA umfasst. Die Anerkennung der Hispanics als eigenständige Rasse dürfte auch ihnen neuen Auftrieb geben. Wenn man mit Hispanics spricht, hört man oft, dass in den Familien tatsächlich ein Selbstbewusstsein mit starkem Zug ins Kosmische gepflegt wird. Norvin Castillo, ein Kalifornier, dessen Vater aus Costa Rica stammt, erzählt zum Beispiel, die kindgerechte Version der "raza cósmica" laute so: Als Gott die Menschen gebacken hat, sind sie ihm beim ersten Versuch verbrannt, die Menschen waren zu schwarz. Das zweite Blech habe Gott dann aus Übervorsichtigkeit zu früh herausgeholt, die Menschen waren noch ganz weiß. Erst der dritte Versuch saß: Der Mensch war braun, perfekt und sprach ein schönes, weiches Spanisch.

Gegenüber den Dominanzattitüden von Weißen ist das selbstbewusst, gegenüber Schwarzen kann das aber grob ausgrenzend sein. Es knallt ja neuerdings auch dauernd zwischen Schwarzen und Hispanics. In vielen Familien sei es absolut unmöglich, dass eine Latina mit einem schwarzen Freund nach Hause kommt, sagt Castillo, es sei denn, sie behauptet, er komme aus der Dominikanischen Republik - dann habe sie eventuell eine Chance. Der Rassismus der Latinos ist zwar auch nicht unbedingt sympathischer als der der weißen Amerikaner, aber er kennt wenigstens nicht das schroffe Entweder-oder, schwarz oder weiß. Solange man in Lateinamerika jemanden findet, der noch dunkler ist als man selbst, ist man mitnichten schwarz. So erklären sich etwa die Äußerungen des Fußballspielers Roberto Carlos, der, als er einmal von Real-Madrid-Fans rassistisch geschmäht wurde, darüber rätselte, wieso er überhaupt als "Schwarzer" bezeichnet worden war. Er selbst fand nämlich, er sei viel eher "café con leche", milchkaffeefarben.

Und was heißt das für Amerika in diesem Wahljahr? Es heißt, sagt Castillo, dass die Hispanics entscheidend sein werden und entsprechend umworben sind. Es heißt aber vor allem, dass es in Swing States mit großer Latino-Bevölkerung wie Florida passieren könne, dass Kubaner mit wesentlich dunklerer Haut als Barack Obama lieber die Republikaner wählen als einen Schwarzen.

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