Die Zahl der Geburten in Deutschland ist in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 stark gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kamen zwischen Januar und September insgesamt etwa 510.000 Kinder zur Welt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 492.000 Kinder. Das entspricht einem Plus von 3,6 Prozent. Ein derart großer Zuwachs war im gesamten letzten Jahrzehnt nicht feststellbar.
Dieser Anstieg kann unter zwei Bedingungen zu einer deutlich höheren Geburtenrate führen. Erstens muss der Trend der ersten neun Monate des Jahres 2010 im verbleibenden Vierteljahr stabil bleiben. Zweitens handelt es sich bei den Zahlen um sogenannte "vorläufige Angaben" des Statistischen Bundesamtes. Diese Zahlen können noch nach oben oder unten korrigiert werden. In den vergangenen Jahren zeigte sich allerdings, dass diese Daten die endgültigen Aufwärts- oder Abwärtstrends der Geburtenzahlen relativ gut wiedergeben.
Der Geburtenzuwachs, den die Daten signalisieren, ist erstaunlich, weil die Zahl der potenziellen Mütter seit langem kontinuierlich sinkt. Jedes Jahr gehören etwa 300.000 Frauen weniger zur Gruppe der 15- bis 45-Jährigen, die aufgrund ihres Alters überhaupt Kinder bekommen können. Wenn nun im Jahr 2010 sogar die absolute Zahl der Geburten in Deutschland wächst, markiert dies eine doppelte Veränderung: Es gibt zwar weniger potenzielle Mütter, doch diese wenigen Frauen bekommen mehr Kinder.
Falls sich das Wachstum als stabil erweist, wird das die Geburtenrate deutlich nach oben treiben. Sie liegt seit einigen Jahren ohne große Veränderungen zwischen 1,36 und 1,38 Kindern pro Frau. Im Jahr 2007 war sie ein einziges Mal deutlich, wenngleich nicht drastisch gestiegen: Nach der Einführung des Elterngeldes kletterte sie von 1,33 Kindern pro Frau auf 1,37 Kinder pro Frau. In diesem Jahr 2007 bekamen Frauen in Deutschland 12.000 Kinder mehr als im Jahr zuvor.
Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2010 deuten auf einen höheren Zuwachs in Höhe von fast 20.000 Geburten hin. Dies könnte die Geburtenrate also noch stärker beeinflussen. Wie viele der neugeborenen Kinder von Frauen mit Migrationshintergrund zur Welt gebracht werden, geht aus der Statistik nicht hervor.
Im Osten wie im Westen ähnliche Entwicklung
Bemerkenswert ist auch, dass die Wirtschaftskrise in Deutschland offenbar keinen Einfluss auf die demographische Entwicklung nahm. Hätten sich die Deutschen nach Beginn der Krise im November 2008 entschieden, ihre Kinderwünsche aufzuschieben oder aufzugeben, wäre dies vom Herbst 2009 an in den Statistiken deutlich geworden. Dies ist jedoch nicht der Fall - weder im Osten noch im Westen ging die Zahl der Geburten zurück.
Das widerspricht scheinbar der Beobachtung von Sozialwissenschaftlern, dass Arbeitslosigkeit die Familiengründung beeinträchtigt. So konnte zum Beispiel Johannes Giesecke vom Wissenschaftszentrum Berlin zeigen, dass Kinderwünsche in Westdeutschland häufig aufgeschoben werden, sobald der männliche Partner arbeitslos wird. Doch die Krise 2009 ließ die Arbeitslosigkeit wider Erwarten nicht dramatisch wachsen.
Im Bundesfamilienministerium wollte man die neuen Zahlen noch nicht kommentieren. Eine Sprecherin verwies jedoch auf aktuelle Studien, wonach 2010 der Kinderwunsch wieder deutlich gestiegen sei. "Dies ist ein positives Signal", sagte sie, "wir sind mit unseren Familienleistungen, speziell mit dem Elterngeld und dem Ausbau der Kinderbetreuung auf dem richtigen Weg."