Angriff oder Verteidigung? Empörung über ungerechte Vorwürfe oder zerknirschte Versprechen, sich zu bessern? Angesichts immer neuer Anschuldigungen hat die russische Führung offenbar beschlossen, alles gleichzeitig zu versuchen. Als Ende vergangener Woche der einstmals oberste Doping-Bekämpfer des Landes der New York Times schilderte, wie er selbst mindestens 15 russischen Athleten mit verbotenen Substanzen zu Medaillen in Sotschi verholfen und den Schwindel danach vertuscht habe, sprach Sportminister Witalij Mutko von einer Verschwörung gegen Russland: "Schon wieder wird der russische Sport attackiert." Es sei, als würden sich ausländische Medien den Staffelstab in die Hand geben.
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow nannte die Vorwürfe des im Januar in die Vereinigten Staaten geflohenen Grigorij Rodtschenkow "Verleumdungen eines Überläufers".
Doch schon zwei Tage später schlug Mutko ganz andere Töne an. In einem Gastbeitrag für die britische Sunday Times entschuldigte sich der Sportminister für den Doping-Betrug von Leichtathleten in seinem Land: "Um es klar zu sagen: Wir schämen uns für sie." Die Athleten hätten versucht, "uns und die Welt zu täuschen". Darüber sei er "traurig".
Russland werde bei der Aufklärung mit der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zusammenarbeiten, versprach Mutko. Das ganze russische Team von den anstehenden Olympischen Spielen in Rio auszuschließen, wäre allerdings "unfair und unverhältnismäßig", weil dadurch auch ehrliche Sportler bestraft würden. Außerdem täten andere es ja auch: "Doping ist ein globales Problem, nicht nur ein russisches." Nicht Russland hat also betrogen, sondern einzelne Athleten taten es; und Russland gehört zu den Opfern. Auf den "Überläufer" Rodtschenkow nahm Mutko mit keinem Wort Bezug. Die Entschuldigung bezog sich allein auf den Wada-Bericht vom vergangenen Herbst, nach dem der internationale Leichtathletikverband das russische Team gesperrt hatte. Die Leitung des russischen Verbandes habe "gemeinsam mit Sportlern und Trainern schwere Fehler gemacht", schrieb Mutko.
Im Verdacht stehen nicht allein Sportler, sondern auch der Geheimdienst
Doch schon im Wada-Bericht klang an, was Rodtschenkow in der New York Times im Detail schilderte: Im Verdacht stehen nicht allein Sportler, Trainer und Verbandsfunktionäre, sondern auch der russische Staat, namentlich der Inlandsgeheimdienst FSB und Mutkos Ministerium. Der Wada fiel auf, dass FSB-Mitarbeiter im Moskauer Anti-Doping-Labor ein- und ausgingen. Laut Rodtschenkow nahm der Geheimdienst Hunderte Spezialbehälter für Urinproben mit und fand einen Weg, die Gefäße zu öffnen und den Inhalt auszutauschen, ohne das Siegel zu brechen. Während der Spiele in Sotschi hätten die Sportler dann Fotos von den Kennziffern ihrer Proben an Mitarbeiter des Ministeriums geschickt. Diese hätten dann jeden Abend eine Liste der Proben vorbeigebracht, die ausgetauscht werden sollten.