Betriebsräte:Dachser, Aldi, Tönnies, Rossmann

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Europäisches Recht hebelt Arbeitnehmerrechte in Deutschland aus: Gewerkschaften beklagen Tricksereien von Unternehmen bei der Mitbestimmung und fordern Sanktionen.

Von Detlef Esslinger, München

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland ist bedroht - zu diesem Fazit jedenfalls kommt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Michael Guggemos, der Chef der Stiftung, sagte am Dienstag der Süddeutschen Zeitung, die "Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel" hätten schon oft besseren Schutz versprochen. Jetzt müssten sie "endlich konkrete Gesetzesinitiativen starten".

Mitbestimmung in Deutschland bedeutet, dass die Arbeitnehmer in allen Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern einen Betriebsrat wählen dürfen, und dass sie in Unternehmen mit mindestens 500 Arbeitnehmern im Aufsichtsrat sind. Mit Letzterem befasst sich die Böckler-Studie. Der Autor Sebastian Sick hat durchgezählt und ist zu dem Ergebnis gekommen: Vor 18 Jahren hatten noch 767 Unternehmen einen Aufsichtsrat, der von Anteilseignern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt war - so wie es das Mitbestimmungsgesetz für Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmern vorsieht. 2018 waren es noch 638. "Die Vorgaben für die Mitbestimmung in den nationalen Gesetzen wurden formal nicht abgeschwächt", schreibt Sick. "Aber durch europäisches Recht sind neue Schlupflöcher entstanden." Er kam auf 194 Unternehmen, die findig bei der Suche nach speziellen Rechtskonstruktionen sind - wie jene der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), einer Auslandskapitalgesellschaft (wie B.V. oder Ltd.) & Co. KG oder einer Stiftung. Als Beispiele nannte er die Meyer-Werft, den Schlachter Tönnies, Zalando, Dachser, Adolf Würth, Aldi sowie Lidl. Das Mitbestimmungsgesetz wurde 1976 verabschiedet und gilt nur für vier damals maßgebliche Rechtsformen: Aktiengesellschaft, GmbH, KGaA sowie Genossenschaft. 113 weitere Firmen ignorieren nach Darstellung von Sick das Gesetz einfach; als Beispiele nennt er die Drogeriekette Rossmann und den Gebäudedienstleister Piepenbrock.

Die Hans-Böckler-Stiftung fordert daher zweierlei: erstens ein Gesetz, das klarstelle, dass eine ausländische Rechtsform "die Mitbestimmung nicht aushebeln kann". Europarechtlich sei dies möglich. Zweitens brauche es ein "effektives Sanktionsregime" für die Fälle, in denen geltendes Recht einfach ignoriert werde. "Sonst wird eine schleichende Erosion der Mitbestimmung unaufhaltsam", schreibt der Autor Sick.

© SZ vom 29.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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