Betreuungsgeld:Zum Wohl der Kinder

Statt über mögliche Formen des Betreuungsgeldes zu streiten, sollte man den Kindergarten neu erfinden - mit mehr Personal und Unterstützung für bildungsferne Familien.

Felix Berth

Für die Mobilität der Menschen gibt der deutsche Staat viel Geld aus. Er lässt Straßen bauen und Wege pflastern, er finanziert Flughäfen und subventioniert die Tickets von Bahnen und Bussen. Die Bürger erhalten ein Angebot - sie können es nutzen, doch sie müssen nicht. Und natürlich verzichten manche darauf.

Betreuungsgeld: Der Kindergarten ist eine deutsche Erfindung des 19. Jahrhunderts - und muss dringend reformiert werden.

Der Kindergarten ist eine deutsche Erfindung des 19. Jahrhunderts - und muss dringend reformiert werden.

(Foto: Foto: AP)

Sie bleiben zu Hause, weil sie vielleicht nicht reisen können, weil sie ihren Schreibtisch im privaten Arbeitszimmer haben und nicht im Büro, weil sie arbeitslos sind oder einfach nicht gerne rausgehen. Wer auf die Idee käme, für diese genügsamen Menschen eine finanzielle Entschädigung zu verlangen, die er vielleicht "Ruhegeld" nennen könnte, würde ausgelacht: Der Staat zahlt doch nichts an die, die seine Angebote ablehnen.

Genau das ist der Kern des Betreuungsgeldes, das die CSU seit zwei Jahren verficht. Eltern, die ihr Kleinkind nicht in eine Kinderkrippe bringen, sollen jeden Monat 150 Euro erhalten. Das Prinzip ist so merkwürdig wie der Hintergedanke simpel: Ein Teil der Konservativen hat noch immer Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass schon Kinder im Alter von zwei Jahren in eine Kita gehen.

Außer ein paar Sektierern gibt es kaum Kritiker der Krippen

Doch die Partei konnte sich politisch nicht durchsetzen. Denn außer ein paar Sektierern in der Pädagogenszene finden sich kaum Kritiker der Krippen. Und die meisten jungen Eltern verlangen mit Nachdruck mehr Kitas. Das konnte die CSU nicht ändern - sie hofft nun, dass ein Betreuungsgeld den Trend der vergangenen Jahre zumindest bremst und die Traditionalisten unter den Anhängern beruhigt.

Was Bundeskanzlerin Angela Merkel nun erklärte, sieht aus wie eine Unterstützung der CSU. In einem verschwurbelten Satz, wie ihn Edmund Stoiber nicht besser hingebracht hätte, sagte Merkel sinngemäß, sie traue Familien zu, die 150 Euro zum Wohl ihrer Kinder zu verwenden.

Nun können die Merkel-Exegeten grübeln: Ist das ein Machtwort pro Betreuungsgeld? Oder gibt es - neben Merkels Glauben an Eltern-Kompetenz - andere Argumente gegen das Betreuungsgeld, denen die Kanzlerin zuneigt? Im Grunde ist das egal. Denn über das Betreuungsgeld wird noch lange nicht entschieden; frühestens im Herbst 2013 soll es gezahlt werden - dann, wenn Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Einjährige haben.

Bis dahin bleiben vier Jahre, die man gewiss auch mit einem Kulturkampf um das Betreuungsgeld und irgendwelche Alternativen in Gutschein-Form verplempern kann. Doch die Zeit lässt sich besser nutzen. Denn in den nächsten Jahren geht es darum, dass sich der Kindergarten, eine deutsche Idee des 19. Jahrhunderts, neu erfindet.

Die erste Herausforderung wirkt harmlos, doch sie ist es nicht. Derzeit öffnen sich normale Kitas für kleinere Kinder und nehmen massenweise Zweijährige auf. Bald wird die reguläre Altersgrenze des Kindergartens nicht mehr bei drei, sondern bei zwei Jahren liegen. Der "Krippenausbau" ist in Wirklichkeit kein Neubau von Krippen, sondern ein Umbau der klassischen Kindergärten.

Das Experiment wird viele Gewinner haben - aber möglicherweise auch viele Verlierer. Profitieren werden die Eltern, weil sie wieder mehr Zeit für ihre Jobs bekommen. Profitieren werden Kommunen und Kitas, weil sonst aus demographischen Gründen weniger Kinder kämen und Personal überflüssig wäre.

Personalschlüssel nah am Straftatbestand

Doch Verlierer könnten die Kinder sein. Ein Zweijähriger braucht ein ganz anderes Programm als ein Fünfjähriger: mehr Zuwendung, mehr Schutz, mehr Nähe zur Erzieherin. Wenn diese aber 15 Kinder betreuen muss, wird das Experiment scheitern. Schon heute sind die Personalschlüssel in den neuen Bundesländern, wo die Traditionen der DDR nachwirken, nah am Straftatbestand der Kindeswohlgefährdung. In den nächsten Jahren wird das schlimmer, falls Bund und Länder nicht gegensteuern.

Die zweite Herausforderung: Alle Beschäftigten in Kindergärten müssen verstehen, was bisher nur ein Teil von ihnen erkannt hat - dass Bildung nicht erst in der Schule beginnt. Das braucht keine billigen Hilfskräfte, sondern gut ausgebildetes Personal. Kommunen müssen dort investieren, wo es Kinder am schwersten haben - gemäß der Idee, dass die besten Kitas in den problematischen Stadtvierteln nötig sind.

Das Signal für Eltern im Münchner Hasenbergl oder in Berlin-Neukölln darf nicht sein: Lasst Eure Kinder daheim, dann stockt der Staat Euer Einkommen um 150 Euro auf, sondern: Der Kindergarten nebenan ist so gut, dass er alle Eltern überzeugt.

Nicht nur den Nachwuchs versorgen, auch die Eltern coachen

Die dritte Herausforderung: Kitas müssen sich mehr um die Eltern mit niedriger Bildung und geringem Einkommen bemühen. Solange die nicht überzeugt sind, dass sich Bildung für ihre Kinder lohnt, nützen die schönsten naturwissenschaftlichen Experimente mit den Kleinen wenig. Sobald diese Eltern aber den Eindruck haben, dass sich Lernen und Leistung lohnen, bekommen ihre Kinder eine Chance auf Aufstieg. Auch das setzt eine kleine Revolution voraus. Eine solche Kita versorgt nicht nur den Nachwuchs, sondern coacht auch Eltern.

Das Angebot, das der Staat den Familien macht, muss also anders und viel besser werden. Billig kann das nicht sein. Aber das wäre ein sinnloses Betreuungsgeld auch nicht.

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