Süddeutsche Zeitung

Betreuungsgeld:Die Kneifer von Karlsruhe

In Sachen Betreuungsgeld weicht das Bundesverfassungsgericht der notwendigen Grundsatzentscheidung aus - und flüchtet sich in Zuständigkeitsfragen. Das ist, mit Verlaub, ein wenig faulpelzig.

Kommentar von Heribert Prantl

Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Bundesgesetz zu erlassen, ist es unbedingt notwendig, kein Bundesgesetz zu erlassen. Dieser leicht abgewandelte Satz von Montesquieu bereitet dem Betreuungsgeld nun den Garaus: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner mündlichen Verhandlung wenig Zweifel daran gelassen, dass der Bund für diese Materie keine Zuständigkeit hat.

Das Bundesland Bayern kann natürlich, wenn es will, künftig per Landesgesetz den bayerischen Eltern die 150 Euro (oder mehr!) gewähren, wenn diese ihre Kinder nicht in die Kita schicken; andere Bundesländer können das auch; sie können das Geld aber auch in den Ausbau von Kitas stecken. Das ist eine Länder-Entscheidung, das ist ihre Kompetenz. Das bisher schwarz-rot-goldene Betreuungsgesetz wird also demnächst weiß-blau werden.

Die überkommenen Rollenbilder von Mann und Frau

Ob freilich ein von einem Bundesland gewährtes Betreuungsgeld dem Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes entspricht, ob das Betreuungsgeld die überkommenen Rollen von Mann und Frau verfassungswidrig festschreibt - das muss auch dann noch geklärt werden. Vorläufig sieht aber Karlsruhe für diese inhaltliche Prüfung keine Veranlassung. Warum nicht? Weil die Frage, ob der Bund zuständig ist (er ist es hier nicht), leichter zu klären ist als die Frage, ob das Betreuungsgeld die überkommenen Rollenbilder von Mann und Frau verfassungswidrig festschreibt.

Karlsruhe wird also, wie es aussieht, in Sachen Betreuungsgeld eine inhaltliche, eine materiell-rechtliche Entscheidung vermeiden; es wird sich damit begnügen, eine formelle, eine Verfahrensentscheidung zu treffen. Der familienrechtlichen Grundsatzentscheidung geht Karlsruhe aus dem Weg. Nein, das ist nicht salomonisch, das ist einem Verfassungsgericht nicht angemessen. Ein Verfassungsgericht ist nicht dafür da, vor schwierigen Entscheidungen zu kneifen. Es ist berufen, grundsätzliche Entscheidungen zu treffen; es ist nicht dazu berufen, sich eines Verfahrens auf möglichst einfache und billige Weise zu entledigen.

Das Verfassungsgericht ist kein Amts- oder Landgericht, das sich darüber freuen darf, wenn es eine schwierige Sache mit einer formellen Entscheidung schnell wieder vom Tisch bekommt. Karlsruhe ist kein Gericht für schnelle, sondern für gründliche und wegweisende Entscheidungen. In Sachen Betreuungsgeld weicht Karlsruhe der notwendigen Grundsatzentscheidung aus. Statt Grundrechtsfragen zu klären, flüchtet es in Zuständigkeitsfragen. Das ist - mit Verlaub - ein wenig faulpelzig. Wenn es um den Kern der Grundrechte, wenn es um das Zukunftsbild von Ehe und Familie geht, ist das höchste Gericht in seiner Kernkompetenz gefordert.

Das Bundesverfassungsgericht hat, von seiner Gründung an, den Gleichberechtigungssatz des Grundgesetzes hochgehalten. Es hat um den Gehalt der Grundrechte gerungen. Es hat eine Vielzahl von großen Leitentscheidungen getroffen. Eine Schleichentscheidung, wie sie jetzt bevorsteht, ist keine Leitentscheidung. Das Gericht will offenbar seiner Verantwortung für die Artikel 3 und 6 des Grundgesetzes, seiner Verantwortung für Gleichberechtigung, Ehe und Familie, nicht mehr gerecht werden.

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