Betreuung von Kleinkindern:Genügend Kita-Plätze - am falschen Ort

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Endlich mal gute Nachrichten: Die Länder haben rechtzeitig viele Betreuungsplätze für Kleinkinder geschaffen, sogar mehr als gefordert. Doch Familienministerin Kristina Schröder distanziert sich von dem vermeintlichen Triumph. Sie will mit den Zahlen, die sie selbst herausgibt, nichts zu tun haben. Aus gutem Grund.

Von Michael König, Berlin und Barbara Galaktionow

Der Sitz ist noch warm. Vor wenigen Minuten hat Peer Steinbrück hier gesessen, der Kanzlerkandidat der SPD. Er hat gegeißelt, charmiert, die Gemeinsamkeiten mit den Grünen betont, mit deren Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt er aufgetreten war. Steinbrück hat im Haus der Bundespressekonferenz Wahlkampf gemacht, beinahe eine Stunde lang. Dann ist er aufgestanden, und kurz darauf sitzt hier Kristina Schröder, die Familienministerin. Was für ein Unterschied.

Auch Schröder will Wahlkampf machen, und sie hat es leicht. Zumindest im Prinzip. Schon am Morgen hat NDR Info gemeldet, dass es in Deutschland weit mehr Betreuungsplätze für Kinder von ein bis drei Jahren gibt als erwartet. Vom 1. August 2013 an haben Eltern einen Rechtsanspruch auf diese Plätze. Der Kita-Ausbau schien bislang schleppend zu verlaufen. Anfang dieser Woche warnte der Deutsche Städtetag vor einer Lücke von 100.000 Betreuungsplätzen.

Doch am Donnerstagmorgen heißt es: Alles wird gut, die Länder melden 20.000 Plätze mehr als der veranschlagte Bedarf von 780.000 Plätzen. Ministerin Schröder setzt bei ihrem Auftritt vor der Bundespressekonferenz noch einen drauf: 813.093 Plätze würden im Laufe des Kita-Jahrs 2013/2014 bundesweit zur Verfügung stehen, 30.000 mehr als der errechnete Bedarf.

Eine Nachricht, wie für den Wahlkampf gemacht: Schwarz-Gelb übertrifft das familienpolitische Ziel schon bald. "Auftrag fast erfüllt", melden die Nachrichtensender in Großbuchstaben. Aber anders als ihr Vorredner Steinbrück verzichtet Ministerin Schröder auf große Gesten. Sie gibt die Zahl zu Protokoll. Lobt lediglich den "beachtlichen Endspurt" der Länder. Verspricht, der Bund werde auch weiterhin investieren und die Betreuungsqualität sichern und verbessern.

Den Rest ihres Statements trägt sie emotionslos vor, geradezu vorsichtig. Und dafür gibt es gute Gründe. Denn dass das selbstgesetzte Ziel einer bundesweiten Versorgungsquote von 39 Prozent nun offenbar in letzter Minute doch noch erreicht wird, ist letztlich nur ein Etappensieg, der über die Mängel in der Kleinkinderbetreuung kaum hinwegtäuschen kann.

  • Da ist zunächst Mal das Problem der Verteilung. Was nützt es Vätern und Müttern im Westen, wenn im Osten die Quoten übererfüllt werden? Was hilft es Eltern in Städten und Ballungszentren, wenn es auf dem Land viele freie Plätze gibt? Kaum jemand kann sein Kind morgens und abends stundenlang durch die Gegend fahren. Schröder spricht von einem "positiven Bild" in den Landkreisen, da lebten immerhin zwei Drittel der Bevölkerung. Auf die Situation in den Städten angesprochen, sagt sie: "Die Städte haben diesen hohen Bedarf, aber das wissen die Städte ja auch seit Langem, das ist ja nicht vom Himmel gefallen." Nachfrage: Wie die Situation denn nun sei? Schröder: "Da hört man so Unterschiedliches, das ich Ihnen nicht ersparen kann, in den einzelnen Städten nachzufragen." Tatsache ist: Gerade in den Städten liegt der Bedarf oft bei deutlich mehr als 50 Prozent. An manchen Orten liegt die Versorgungsquote sogar schon bei mehr als 50 Prozent. Doch es reicht trotzdem nicht aus, um den Bedarf zu decken - wie zum Beispiel in München.
  • Über die Qualität der Betreuung sagen die neuen Zahlen nichts aus. Sind das kommunale Kitas, private Angebote, Tagesmütter oder -väter? Für viele Eltern spielt das eine große Rolle, oft finanziell, aber nicht nur. Sie wollen ihr Kind in einer passenden Gruppe untergebracht sehen, mit optimaler Betreuung durch ausgebildete Erzieher. Das ist nicht immer gewährleistet - es gibt viel zu wenig Personal. Die Bertelsmann-Stiftung hat ausgerechnet, dass in den östlichen Bundesländern im Schnitt ein Erzieher für sechs Kinder unter drei Jahren zuständig ist. Die empfohlene Zahl liegt bei drei Kindern pro Erzieher. Und das Problem ist nicht einfach durch neue Einstellungen zu beheben: Schon jetzt gibt es einfach zu wenige Erzieherinnen und Erzieher. Schröder sagt dazu: "Ich kann nur die Zahl der Kita-Plätze zur Kenntnis nehmen, die mir die Länder melden. Sie können nur melden, wenn genug Personal zur Verfügung steht." Nachfrage: "Wie steht es denn um die Unterbringung der neuen Plätze, sind die in irgendwelchen Containern?" Schröder: "Da müssen Sie die Länder fragen, die melden mir nicht alles, dafür gibt es auch keine Rechtsgrundlage."
  • Die Genauigkeit der Statistik ist zumindest fragwürdig. In der Tabelle des Familienministeriums ist die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze in Bayern mit exakt 100.000 angegeben. Weitere 20.000 Plätze seien bewilligt. Einen so runden Wert kann kein anderes Land aufweisen. Wie kann das sein? Ministerin Schröder lacht und sagt: "Da müssen Sie die Bayern fragen." Dort, im Sozialministerium, heißt es auf SZ.de-Nachfrage: 44.415 Plätze seien zum 1. Januar 2008 gemeldet gewesen. Seitdem seien 65.091 Plätze bewilligt worden. Macht insgesamt: 109.506 Plätze. Warum liegt Schröder ein anderer Wert vor? Rundet ausgerechnet die Schwesterpartei CSU zu Ungunsten der CDU-Ministerin Schröder großzügig ab? Aus dem Bundesministerium kommt nur ein Achselzucken. Man sei eben auf die Zulieferung der Länder angewiesen.

Linktipp: Warum es tatsächlich noch schlechter um die Betreuung in den Kinderkrippen steht als von der Bertelsmann-Stiftung errechnet, erläutert Sozialwissenschaftler Stefan Sell in seinem Blog.

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