"Ich habe nicht die Absicht, die Gefühle des chinesischen oder des koreanischen Volkes zu verletzen", sagte Shinzo Abe unschuldig. Doch geht es nach offiziellen chinesischen und südkoreanischen Stellen, tat der japanische Ministerpräsident genau das, als er den umstrittenen Kriegsschrein Yasukuni besuchte.
"Schamloses Verhalten", zeterte das chinesische Außenministerium. "Wir protestieren und verurteilen das Vorgehen der japanischen Führung." Der Besuch führe zu großen Problemen für die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Das chinesische Außenministerium nannte das Vorgehen von Abe "absolut inakzeptabel für die chinesische Bevölkerung".
Verärgerung und Bedauern äußerten auch Vertreter der südkoreanischen Regierung ob der "ungeheuerlichen und anachronistischen Geste" Abes, wie es Südkoreas Kulturminister Yoo Jin Ryong formulierte. "Der Besuch verherrlicht Japans koloniale Aggressionen und ehrt Kriegsverbrecher" - und schade der Stabilität und der Zusammenarbeit in Nordostasien grundlegend.
Selbst die Amerikaner zeigten sich besorgt. Die japanische Führung habe einen Schritt getan, der die Spannungen zwischen ihrem Land und seinen Nachbarn verschärfen werde, hieß es aus der US-Botschaft in Tokio.
Abe ist der erste japanische Regierungschef seit sieben Jahren, der dem Schrein einen Besuch abstattete. Dort werden nicht nur japanische Kriegstote, sondern auch einige verurteilte Kriegsverbrecher geehrt. Fernsehbilder zeigten Abe, wie er sich vor dem Schrein verbeugte und dann einem Priester ins Innere folgte. Danach sagte er vor Journalisten, es sei eine Selbstverständlichkeit für einen Regierungschef, denen die Ehre zu erweisen, die für ihr Land gestorben seien. Im Yasukuni-Schrein unweit des Kaiserpalastes in Tokio gedenken die Japaner ihrer etwa 2,5 Millionen Landsleute, die seit 1853 in Kriegen umgekommen sind. Das Shinto-Heiligtum ist höchst umstritten, weil dort auch Kriegsverbrecher geehrt werden, die ein alliiertes Tribunal zum Tode verurteilt hatte.
Der Besuch des Schreins durch japanische Politiker führt regelmäßig zum Streit mit China und Südkorea, wo die Stätte als Symbol des Militarismus gilt und die Erinnerung an die japanische Besatzung im Zweiten Weltkrieg noch lebendig ist. Doch der diesjährige Besuch Abes hat eine andere Brisanz als damals.
"Japans Beziehungen zu China und Südkorea sind wichtig"
Japans Beziehungen zu China sind seit Monaten wegen Territorialstreitigkeiten belastet. In jüngster Zeit war der Streit um eine Inselgruppe im Ostchinesischen Meer eskaliert, die beide Staaten für sich beanspruchen. China verlangt, dass sich ausländische Flugzeuge in einer Ende November errichteten "Identifikationszone zur Luftverteidigung" (ADIZ) anmelden, identifizieren und den Anweisungen seiner Luftwaffe folgen. Japan reagierte darauf mit demonstrativen Patrouillen von Kampfflugzeugen in dem Gebiet.
Die Lage dort ist gefährlich, weil sowohl Japan als auch China Ansprüche auf die Inselgruppe erheben, die chinesisch Diaoyu und japanisch Senkaku genannt wird und praktisch unter japanischer Verwaltung steht. Weil Peking nicht nachgeben will und Japan die Zone ablehnt, besteht die Gefahr, dass es zu militärischen Zwischenfällen oder Unfällen im Luftverkehr kommt.
Zuletzt hatte Peking auch die geplante Anhebung der japanischen Militärausgaben kritisiert - die erste Erhöhung dieser Art seit zehn Jahren. Für viele ist Abes Schrein-Besuch ein weiterer Schritt, der seine Entschlossenheit demonstrieren soll, das militärische Profil Japans angesichts der Aufrüstung Chinas zu schärfen.
Abe verteidigte hingegen sein Vorgehen. Er hoffe, die Gelegenheit zu bekommen, China und Südkorea zu erklären, dass er mit seinem Besuch nicht ihre Gefühle der Chinesen und Koreaner verletzen habe wollen. "Japans Beziehungen zu China und Südkorea sind wichtig. Ich glaube, die Beziehung unerschütterlich zu machen, wäre im nationalen Interesse", sagte der japanische Regierungschef.
Während seiner ersten Amtszeit 2006 und 2007 hatte Abe den Schrein nicht besucht, was er später als "äußerst bedauerlich" beschrieb.