Besuch in Prag:Scholz regt neues Luftverteidigungssystem in Europa an

Olaf Scholz, Bundeskanzler, aufgenommen beim Wahlkampfauftakt der SPD Niedersachsen in Cuxhaven, 26.08.2022. Cuxhaven D

Fordert mehr gemeinsamen Anstrengungen bei der Verteidigung in Europa: Bundeskanzler Olaf Scholz.

(Foto: IMAGO/photothek)

Der Kanzler hält an der Karls-Universität in Prag eine europapolitische Grundsatzrede. Der Kanzler will das Einstimmigkeitsprinzip lockern und bei der Verteidigung viel stärker zusammenarbeiten als bisher.

Es ist nicht irgendein beliebiges Grußwort, dass Olaf Scholz an diesem Montag um 11 Uhr an der Karls-Universität in Prag spricht. Angekündigt ist vom Kanzleramt eine europapolitische Grundsatzrede. Wuchtige Worte also, die den künftigen Weg der Europäischen Union skizzieren sollen. Eine Rede, die das in einer Regierungserklärung kurz nach Kriegsbeginn Ende Februar gefallene Kanzlerwort von der "Zeitenwende" ausbuchstabieren und auf die europäische Ebene übersetzen sollen.

Scholz hält die 60-minütige Rede im Karolinum, dem historischen Hauptgebäude der 1348 gegründeten Karls-Universität, die zu den ältesten Universitäten Europas zählt. Im Karolinum redete 2008 auch schon seine Vorgängerin Angela Merkel.

"Der Angriff auf die Ukraine ist auch Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung", sagt Scholz in seiner Rede. Die EU sei zunächst ein nach innen gerichtetes Friedensbündnis gewesen, daraufhin ausgerichtet, Krieg zwischen seinen Mitgliedern auf alle Zeiten zu verhindern. Nun sei die Bedrohungslage eine andere. Man werde Russlands Angriff nicht hinnehmen. Die EU sei die gelebte Absage an Autokratismus. Putin sei das vereinte Europa ein Dorn im Auge, weil es nicht in seine Welt passe.

Der Kanzler plädiert in seiner Rede für eine sehr viel stärkere Verteidigungszusammenarbeit, fordert ein voll funktionsfähiges EU-Hauptquartier und bietet eine zentrale deutsche Rolle bei der Organisation der Luftverteidigung in Nord- und Osteuropa an. Es sei wichtig, die Verteidigungsfähigkeit der EU zu stärken und eine gemeinsame EU-Eingreiftruppe bis zum Jahr 2025 aufzustellen. Außerdem plädiert der Kanzler dafür, gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufzubauen. Ein gemeinsam aufgebautes System "wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa", so Scholz. Zudem wäre es kostengünstiger und effizienter als nationale Lösungen.

Vor fünf Jahren hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - ebenfalls an einer Universität, der Pariser Sorbonne - auch eine Grundsatzrede gehalten, in der er die "Neugründung" eines souveränen, demokratischen und vereinigten Europas gefordert hatte. Konkret sprach er sich für ein gemeinsames Budget für die Euro-Länder, einen gemeinsamen EU-Verteidigungsetat sowie eine europäische Interventionstruppe aus, Vorschläge, die damals kontroverse Debatten in der EU auslösten. Scholz knüpft an Macron an und betont, dass die EU in der Integration fortschreiten müsse. Der Druck auf die EU werde wachsen, auch unabhängig vom Krieg in der Ukraine.

Das, was er heute präsentiere, so Scholz seien "Ideen und Denkanstöße, keine fertigen deutschen Lösungen". Die EU müsse bei der Weiterentwicklung ihrer Gemeinschaft gemeinsam vorangehen. "Ich will keine EU der exklusiven Klubs oder Direktorien, sondern eine EU der gemeinsamen Partner", so der Kanzler.

Wichtig sei dennoch, das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU zu lockern und stattdessen Mehrheitsentscheidungen, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik zu ermöglichen. Wichtig sei, dass gerade die Sorgen die kleineren EU-Mitglieder gewahrt werden. Alles andere widerspreche dem Geist der Union. Auch das Europäische Parlament komme an Reformen nicht vorbei. Schon jetzt habe es mehr als 700 Sitze. An dem Prinzip, dass jeder Staat einen EU-Kommissar oder eine -Kommissarin bestimmt, will Scholz nicht rütteln. Diese müssten sich dann aber Zuständigkeiten in einer Kommission teilen, fordert er.

Im Anschluss an seine Rede trifft Scholz den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala. In dem Gespräch dürfte es um die europäische Energiepolitik, die Diskussion über Einreisebeschränkungen für russische Touristen und Waffenlieferungen an die Ukraine gehen. Tschechien hat am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Am Dienstag und Mittwoch findet in Prag ein Außenministertreffen statt, für Anfang Oktober ist dort ein EU-Gipfel geplant.

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