Die Krise in Hongkong hat auch den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in China überschattet. Zu groß ist die Sorge in Europa, dass Peking harsch auf die Proteste in der einstigen britischen Kronkolonie reagieren könnte. Und zu groß sind die Befürchtungen vieler deutscher Unternehmen, dass Chinas zunehmend harter Zugriff auf die Sonderwirtschaftszone die eigenen Geschäfte in Südostasien dauerhaft schwächen könnte. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Ministerpräsident Li Keqiang mahnte Merkel deshalb eine friedliche Lösung der seit Monaten angespannten Situation an.
Die Kanzlerin betonte, dass das Grundsatzabkommen zur Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie nach wie vor gelte und unbedingt eingehalten werden müsse. Den Bürgern Hongkongs müssten alle entsprechenden "Rechte und Freiheiten" gewährt werden. Außerdem müsse alles getan werden, um Gewalt zu vermeiden. Merkel zeigte sich vorsichtig optimistisch, dass die jüngste Entscheidung der Hongkonger Verwaltungschefin Carrie Lam, das umstrittene Auslieferungsdekret zurückzuziehen, die Chance auf einen neuen Dialog bieten könnte.
Ob Li das genauso sieht, blieb unklar. Er vermied eine Antwort auf die Frage, ob er Gewalt zur Lösung der Krise ausschließen könne, und erweckte zunächst sogar den Eindruck, als wolle er sich gar nicht zu dem Thema äußern. Dann aber sagte er, die Zentralregierung in Peking unterstütze die Führung in Hongkong bei dem Versuch, "Chaos und Unordnung" zu beenden. Das werde selbstverständlich "auf Grundlage der Gesetze" passieren. Außerdem gebe es Bemühungen, "die langfristige Stabilität und den Wohlstand in Hongkong" zu erhalten. "Glauben Sie mir: China hat die Weisheit, seine Probleme zu lösen", sagte Li.
Die Zeiten waren schon günstiger für die Beziehungen zwischen China und Deutschland. In beiden Ländern wachsen die Sorgen vor einer wirtschaftlichen Eintrübung und die Furcht, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China die Lage weiter verschlechtern könnte. Für beide Länder wäre ein Ausbau des Handels, eine weitere Öffnung der Märkte und eine stärkere Zusammenarbeit in globalen Fragen also geboten. Doch dies wird durch die Krise in Hongkong erschwert.
Aus der deutschen Wirtschaftsdelegation, die Merkel begleitet, ist zu hören, dass Chinas Glaubwürdigkeit als verlässlicher Vertragspartner bei einem harten Vorgehen in Hongkong in Gefahr sei. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der immer mehr deutsche und europäische Firmen im Zuge der Digitalisierung über engste Kooperationen nachdenken. Ein Mittelständler, der in China engagiert ist, warnte, man müsse sich nur einmal ausmalen, was passieren würde, sollte sich der Konflikt zwischen den USA und China weiter verschärfen. "Stellen Sie sich vor, wir stünden in so einer Situation irgendwann vor der Frage, ob wir uns für amerikanische oder chinesische Partner entscheiden. Dann wären Zweifel an der Zuverlässigkeit eine Katastrophe", sagte er.
Der Konflikt in Hongkong ist indes nicht die einzige Belastung: Viele Unternehmen befürchten, dass Chinas "Social Credit System", also das mit einer fast lückenlosen digitalen Überwachung verbundene System der sozialen Kontrolle, alsbald auch die ausländischen Mitarbeiter vieler Unternehmen treffen könnte. Dies könnte nicht zuletzt in Hongkong dazu führen, dass viele gute Mitarbeiter abwandern.
Und dann, auch das wurde am ersten Tag von Merkels Besuch deutlich, hat sich der Konflikt um faire Zugänge für Investoren zuletzt nicht abgeschwächt, sondern zugespitzt. Das chinesische Engagement in Deutschland hat in jüngerer Zeit deutlich abgenommen. Insbesondere die chinesische Seite rief die Bundesregierung dazu auf, die Investitionsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Merkel hielt dem entgegen, dass der deutsche Markt sehr offen sei für Investoren; einzige Ausnahme seien Investitionen in die kritische Infrastruktur; hier seien die Regeln zuletzt bewusst verschärft worden.
Trotz dieser Konflikte lobten beide Seiten die Partnerschaft. Li nannte sie eine "besonders wichtige in komplizierten und unsicheren Zeiten". Merkel sagte, es sei in der Vergangenheit immer wieder gelungen, Probleme zu lösen, "wenn wir sie gemeinsam und zielgerichtet angehen". Li hob hervor, dass Merkel bereits zum zwölften Mal in China sei. Das zeige das große gegenseitige Interesse und belege, dass sie "herzlich willkommen ist in Peking". Als Beleg dafür hatten sich die Gastgeber bei der Begrüßung mit militärischen Ehren für Stühle entschieden, falls Merkel einen neuerlichen Zitteranfall erleiden sollte. Am Rande des Besuchs gab es mehrere Vertragsunterzeichnungen, mit denen unter anderem Siemens, die Allianz und der Müllentsorger Alba ihr Engagement in China ausbauen.