Besuch in Ankara:Steinmeier sucht die Nähe zur Türkei

  • Außenminister Steinmeier will die türkische Regierung dafür gewinnen, die Flüchtlinge im Land besser zu versorgen - dafür sieht er über Kritik an der Türkei weg.
  • Die Hoffnung ist, die Weiterreise der Flüchtlinge nach Europa - und Deutschland - zu verhindern.

Von Stefan Braun, Ankara

Es kommt nicht oft vor, dass ein Außenminister zum offiziellen Besuch den Hintereingang wählt. Frank-Walter Steinmeier aber hat das gemacht, hat es machen müssen, als er am Freitag ein Aufnahmezentrum für Flüchtlinge in der türkischen Hauptstadt Ankara besuchte. Die Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks hatten ihn darum gebeten. Sie fürchteten, dass die Visite des deutschen Außenministers unter den Wartenden vor der Tür Unruhe auslösen könnte. Nichts illustriert besser, was derzeit los ist; nichts legt deutlicher offen, welche Wirkung Deutschland bei Flüchtlingen inzwischen auslöst. Eine Mitarbeiterin des Flüchtlingszentrums fasst das in wenigen Worten zusammen: "Die meisten, die zu uns kommen, wollen nur eines: sie wollen es nach Germany schaffen."

Konkreter hätte man das Problem nicht fassen könne, das den deutschen Außenminister sehr kurzfristig nach Ankara geführt hat. Die "mächtigen Flüchtlingsbewegungen in Europa" machen mulmig - Steinmeier selbst hat diese Worte hier verwendet und damit die neue Dimension des Problems deutlich umrissen. Es hat sich zu einer gewaltigen Krise ausgewachsen. Und das erklärt am besten, warum Steinmeier auch mit einem Tabu bricht, um ausgerechnet jetzt mit der Türkei ins Gespräch zu kommen.

PKK, AKP? In der Flüchtlingskrise nicht das wichtigste Thema

Normalerweise reist er nicht in ein Land, in dem bald gewählt wird. Schnell wird man als Politiker von der einen oder anderen Seite vereinnahmt, noch schneller gerät man unter den Verdacht, man wolle sich einmischen. Um dem zu begegnen, hat Steinmeier in kurzer Zeit sehr viele Menschen, darunter auch Vertreter der Opposition, getroffen. Ein Balanceakt bleibt die Visite trotzdem. Zumal die Spannungen in den letzten Wochen dramatisch zugenommen haben, wegen PKK-Anschlägen auf der einen und den Aggressionen AKP-naher Gruppen gegen Medien und Oppositionelle auf der anderen Seite.

Der Minister habe die Kritik und die Sorgen, die das in Berlin und in Brüssel auslöst, angesprochen, heißt es. Zum großen Thema aber hat er es nicht machen wollen. Zu wichtig ist Berlin der Versuch, mit Ankara jetzt den Schulterschluss zu suchen. In der Krise verschieben sich Prioritäten.

Die Türkei gilt als Schlüsselland in dieser Krise. Die meisten Flüchtlinge aus dem arabischen Raum, aus Afghanistan und Pakistan gehen zunächst in die Türkei, um von hier aus den riskanten Weg nach Mitteleuropa einzuschlagen. Außerdem leben hier derzeit mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge, weitere 300 000 kommen aus anderen, meist arabischen Staaten. Was würde passieren, wenn sie sich auch noch auf den Weg nach Deutschland machen sollten?

Steinmeier schmeichelt der Türkei - sie soll weitermachen wie bisher

Um dem vorzubeugen, will Berlin die türkische Regierung dafür gewinnen, die Flüchtlinge im Land besser zu versorgen, mehr Essen, mehr Schulen, mehr Ausbildung anzubieten. Nur so, das ist die Hoffnung, ließe sich der auch hier wachsende Trend Richtung Europa vielleicht bremsen. Gelingen soll Berlins Ziel mit einer Strategie freundlichster Lobpreisung. Immer wieder betont Steinmeier begeistert, wie die Türkei in den vergangenen Jahren die Aufnahme der zwei Millionen Kriegsflüchtlinge gemeistert habe. "Wir müssen einfach mal anerkennen, welche großartige Arbeit die türkischen Behörden, aber auch private Nichtregierungsorganisationen hier leisten", sagt der SPD-Politiker mehr als einmal. In Europa werde "viel zu häufig unterschätzt, was die Nachbarstaaten Syriens und des Iraks in den letzten Jahren Großartiges getan haben". Das gelte besonders für den Nato-Partner.

Hinter dem Lob verbirgt sich die Sorge, dass Ankara bei diesen Anstrengungen jetzt nachlässt. Erste Trends in diese Richtung haben in Berlin aufgeschreckt. Umso erfreuter war man in Steinmeiers Delegation, dass die EU-Kommission unmittelbar vor dem Flug ankündigte, die Türkei bei dieser Aufgabe mit einer Milliarde Euro zu unterstützen. Zuvor hatte Berlin in Brüssel heftig für einen solchen Beschluss geworben. Wenigstens in dieser Frage müsse die EU schnell und großzügig entscheiden, forderte die Bundesregierung. Europa, so Steinmeier in Ankara, brauche eine Kooperation mit der Türkei "dringender denn je".

Erdoğan und Putin wollen sich bald treffen

Das allerdings gilt nicht nur für die bessere Versorgung der Flüchtlinge. Es gilt immer dringender auch für die Suche nach Wegen zur Beendigung des syrischen Krieges. In Ankara erklärt der deutsche Außenminister, ohne die Türkei und ihre "gestalterische Kraft" sei eine Lösung des Konflikts nicht zu denken. Auch das soll Ankara schmeicheln und seinen seit 2011 keineswegs immer konstruktiven Kurs offenbar vergessen lassen.

Zufrieden kann Steinmeier mit nach Hause nehmen, dass Ankara und Moskau in dieser Frage mittlerweile in Kontakt sind. Präsident Recep Tayyip Erdoğan soll Wladimir Putin bald treffen, um mit ihm über die Zukunft Syriens zu sprechen. Lange Zeit galt der sofortige Sturz Baschar al-Assads für die türkische Spitze als absolute Vorbedingung. Offenbar hat die Dramatik der Lage dazu geführt, dass Ankara sich flexibler zeigen möchte.

"Ermutigende Botschaften"

Längst mehren sich die Berichte, dass unter den knapp zwei Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat schwindet und bei vielen der Drang größer wird, den Weg nach Europa zu suchen. Außerdem ist türkischen wie deutschen Sicherheitsbehörden nicht verborgen geblieben, dass sich, weil viel Geld zu verdienen ist, mittlerweile "die Pfiffigsten unter den Verbrechern auf das Schleppergeschäft gestürzt haben", wie es ein Diplomat in Ankara ausdrückt. Deswegen soll die Kooperation der EU-Grenzschutzmission Frontex mit den türkischen Grenzbehörden ausgebaut werden - sofern Brüssel die Mission auch auf EU-Anrainer-Staaten ausdehnen sollte.

Am Ende ist Steinmeier froh, dass die zuletzt beklagte Sprachlosigkeit zwischen beiden Ländern überwunden scheint. Nach knapp zehn Gesprächen binnen zehn Stunden jedenfalls spricht er von "ermutigenden Botschaften", die er mit nach Hause nehme. Die Sache mit dem Hintereingang hat er da offenbar schon wieder vergessen.

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