Süddeutsche Zeitung

Besuch bei Putin in Moskau:Merkel kritisiert Strafmaß für Pussy-Riot-Mitglieder

"Unsere Freundschaft wird nicht besser, wenn wir alles unter den Teppich kehren und nicht darüber diskutieren": Angela Merkel übt sich beim "Petersburger Dialog" mit dem russischen Präsidenten Putin in Diplomatie. Aber sie spricht auch offen Kritik an - und erfüllt damit die Erwartungen der Russland-Kritiker in ihrer Koalition.

Was vom System Putin zu halten ist, darüber gibt es unter deutschen Politikern im Grunde keinen Dissens. Der Umgang mit der Opposition; Gesetze, die Proteste gegen die Regierung behindern sollen; Oppositionelle wie die Punkband "Pussy Riot", die eingeschüchtert oder sogar eingesperrt werden; zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Regierung in Moskau als feindliche Agenten brandmarkt - all das, wird in Berlin als sehr problematisch angesehen.

Strittig ist nur, wie offen die Missstände in Russland angesprochen werden sollen. Vor diesem Hintergrund wurde der Besuch von Angela Merkel beim russischen Präsidenten mit Spannung erwartet. Die wichtigste Frage war: Würde die Kanzlerin die Kritik aus Deutschland offen ansprechen oder sie hinter allzu weichen diplomatischen Floskeln verstecken?

Zwar beginnt die Kanzlerin ihre Ausführungen im Rahmen des "Petersburger Dialogs" mit warmen Worten an Putin: "Wir wollen, dass Russland erfolgreich ist", sagt die Kanzlerin. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien von Freundschaft und Partnerschaft geprägt.

Kurz danach kommt das Aber. Das kontroverse Verhalten einer Punkband wie "Pussy Riot" würde in Deutschland zwar auch debattiert werden, sagt Merkel. Aber die Sängerinnen würden nicht wie in Russland zwei Jahre in ein Arbeitslager kommen.

Die Kanzlerin wird sogar noch deutlicher: "Unsere Freundschaft wird nicht besser, wenn wir alles unter den Teppich kehren und nicht darüber diskutieren." Es dürfe auch nicht jede Kritik sofort als destruktiv angesehen werden.

Putin kontert einerseits: Man müsse den Fall insgesamt sehen, es habe auch antisemitische Handlungen der Bandmitglieder gegeben. "Das können wir nicht dulden", sagt der Präsident. Andererseits versucht er den Streit wieder auf die diplomatische Ebene zu ziehen: Er wolle eine "offene Diskussion". Es gebe zwischen Deutschland und Russland auch "keine düsteren Zeiten", sondern nur ab und an "Meinungsverschiedenheiten".

Bei den Regierungskonsultationen, die zwischen Russland und Deutschland bereits zum 14. Mal stattfinden, ist Merkel mit einer großen Delegation angereist. Acht Minister, drei Staatssekretäre, etliche Wirtschaftsvertreter sind dabei. Es geht unter anderem um mehrere lukrative Aufträge - Siemens etwa konnte einen Auftrag im Wert von etwa 2,5 Milliarden Euro zum Abschluss bringen. Der Münchner Konzern wird 695 Lokomotiven an die russische Staatsbahn RZD liefern.

Kurz vor dem Besuch hatte sich die Bundesregierung bemüht, Unstimmigkeiten zwischen beiden Ländern auszuräumen. Die Vorbereitung des Besuchs mit der russischen Seite sei konstruktiv gewesen, eine Gereiztheit in dem Verhältnis könne "man auf Arbeitsebene nicht ausmachen", hatte es am Donnerstag aus Regierungskreisen in Berlin geheißen.

Die deutsch-russischen Beziehungen gelten seit Monaten als angespannt - spätestens seit Wladimir Putin im März das Präsidentenamt übernommen hatte. So hatte der Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit der Bundesregierung und Vizechef der Unionsfaktion, Andreas Schockenhoff, hatte Russland in den vergangenen Wochen mit scharfen Worten verurteilt. "Der Deutsche Bundestag", heißt es zum Beispiel in einem Papier, das im Oktober unter seiner Führung entstand, "sieht eine erhebliche Gefahr, dass Russland durch rechtsstaatliche Defizite, fehlende Investitionen und mangelnde Innovation statt Modernisierung eine Zeit der Stagnation, statt Fortschritt und Entwicklung Rückschritte auf dem Weg zu einem offenen und modernen Staat drohen."

Das Auswärtige Amt versuchte die Kritik zu entschärfen, doch die russische Regierung reagierte ungehalten. Man erkenne Schockenhoff nicht als offiziellen Vertreter der Bundesregierung an. Der CDU-Bundestagsabgeordnete habe sich mehrfach "verleumderisch" über Russland geäußert, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Moskau. Das lasse an seiner Kompetenz zweifeln. Schockenhoff müsse sich zudem keine Sorgen um Russlands Schicksal machen.

Regierung steht hinter Schockenhoff

Schließlich stellte sich die deutsche Regierung doch noch hinter ihren Russland-Beauftragten. Der Bundestag verabschiedete - mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition und den Grünen - eine modifizierte Form des Antrags, in dem von "besonderer Sorge" um die Achtung bürgerlicher Freiheiten in Russland die Rede ist.

Kritisiert wurden die unter Putin ergriffenen Maßnahmen, die "auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen, kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten". Die Bundesregierung wurde mit 17 konkreten Aufforderungen gebeten, sich für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Russland einzusetzen.

Zugleich fühlt sich die Bundesregierung den Angaben zufolge nicht vollständig an die Forderungen der Bundestags-Entschließung gebunden. Die Bundeskanzlerin werde "nicht alle 17 Punkte ansprechen können", hieß es in den Regierungskreisen weiter.

Zumindest einen wichtigen Punkt hat sie nun aber abgehakt.

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