Bestrafung von Sexual-und Gewaltstraftätern:Therapie als Opferschutz

In Deutschland sind langjährige Haft und Sicherheitsverwahrung bei der Bestrafung von Gewalt-und Sexualstraftätern die Regel. Doch ein Beispiel aus der Schweiz zeigt: Rechtzeitige Behandlung senkt nicht nur die Rückfallquoten, sondern kostet den Staat auch weniger Geld.

Wolfgang Janisch

Sieben Jahre ist es her, da wurde eine 16-jährige Gymnasiastin in der Rostocker Heide vom Rad gezerrt, vergewaltigt und mit einem Stein erschlagen. Der Mörder war 29 Jahre alt, arbeitslos und erst zwei Wochen zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden - vorbestraft wegen Vergewaltigung.

Proteste gegen entlassenen Sexualstraftäter

Immer wieder demonstrieren aufgebrachte Anwohner gegen freigelassene Sexualstraftäter, die sich in ihrer Nachbarschaft niedergelassen haben.

(Foto: dpa)

Zwei Fragen wurden damals laut: Durfte man einen derart gefährlichen Täter nach sieben Jahren aus der Haft entlassen? Und was ist in sieben Jahren eigentlich unternommen worden, um die Risiken der absehbaren Entlassung zu verringern? Die Antwort war bitter für die Eltern des Mädchens: Schon zum Beginn der Haft hatte ein Gutachter seine Verlegung in die Sozialtherapie angemahnt, sogar der Häftling stellte Anträge - doch erst ein Jahr vor der Entlassung begann die Therapie. Eine tödliche Verspätung.

Schweiz: Therapie beginnt mit dem Haftantritt

Etwa 60 000 Menschen sitzen hinter deutschen Gittern, davon rund 25 000 Gewalt- und Sexualstraftäter. Fast jeder wird irgendwann wieder in Freiheit gelangen; der Kreis der hochgefährlichen Sicherungsverwahrten, die mit dauerhafter Inhaftierung rechnen müssen, umfasst nur etwa 500. Wie wirksam potenzielle Opfer vor rückfälligen Tätern geschützt sind, bemisst sich daher nicht an der Frage, ob ein Straftäter wieder rauskommt, sondern wann - und vor allem: wie. Nur verwahrt oder wirksam therapiert. Denn wer eine Frau vergewaltigt oder ein Kind missbraucht, leidet zwar selten an einer Krankheit, aber häufig an einer Persönlichkeitsstörung. Diese wird im Gefängnis konserviert - und angereichert um ein paar Knastneurosen.

Frank Urbaniok kann geradezu missionarisch werden, wenn er darauf zu sprechen kommt. Er ist Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes (PPD) des Kantons Zürich, und er kann beweisen: Therapie funktioniert. 50 Psychologen, Ärzte und Pfleger kümmern sich dort um jährlich gut 1300 Delinquenten in den Gefängnissen des Kantons; 250 gefährliche Gewalt- und Sexualstraftäter werden intensiv und teilweise viele Jahre behandelt. Die Rückfallquoten sind atemberaubend niedrig - bei drei Prozent, eine Verringerung um etwa zwei Drittel. "Da ist eine Portion Glück dabei", relativiert Urbaniok. Doch eine kanadische Studie belegt ebenfalls, dass Therapie das Risiko deutlich senkt.

Gewiss, Manpower ist wichtig. Bei der deliktsorientierten Therapie in der Haftanstalt Pöschwies bei Zürich betreut ein Therapeut zwölf Häftlinge - davon können selbst gut ausgestattete deutsche Anstalten nur träumen, räumt Urbaniok ein. Entscheidend ist aber auch die Struktur. In Zürich wird der weit überwiegende Teil der Gewalt- und Sexualstraftäter schon beim Prozess auf seine Gefährlichkeit hin untersucht. Damit kann die Therapie mit dem Haftantritt beginnen. Womit gerade bei kürzeren Haftzeiten (therapiert wird von etwa zehn Monaten Haft an) keine Zeit verloren geht.

In Deutschland dagegen, so hat eine Untersuchung der Universität Kiel ergeben, werden nur knapp zwölf Prozent der Sexualstraftäter im Prozess begutachtet. Die Überweisung in die Sozialtherapie ist für Sexualstraftäter erst ab zwei Jahren Haft zwingend, womit den Therapeuten viele Ersttäter mit geringeren Strafen entgehen - obwohl sie bei dieser Klientel am meisten ausrichten könnten.

Außerdem muss die Behandlung passgenau auf den Täter zugeschnitten sein; wer im Knast nur Tüten faltet, wird seine Gewaltphantasien nicht in den Griff bekommen. Das kann eine Mischung aus Sozial- und Einzeltherapie sein, eine sporadische oder eine langjährige Behandlung. Im Zentrum stehe stets die Auseinandersetzung mit der Tat, sagt Urbaniok: Der Täter müsse verstanden haben, wie die Tat abgelaufen sei. "Denn ein Pädosexueller bleibt auch nach der Entlassung pädosexuell." Weshalb er lernen müsse, seine Neigung zu kontrollieren.

Anzeichen für ein Umdenken

Therapie ist Opferschutz: Die Züricher Formel klingt so zwingend, dass man sich fragt, warum in Deutschland seit anderthalb Jahrzehnten Opferschutz immer mit härteren Strafen und mehr Sicherungsverwahrung übersetzt wird. Obwohl schon im Strafvollzugsgesetz von 1976 der Satz stand: "Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen."

Allmählich jedoch mehren sich die Anzeichen für ein Umdenken. Der FDP-Rechtspolitiker Christian Ahrendt hat sich zusammen mit seinem CDU-Kollegen Siegfried Kauder Urbanioks PPD angeschaut. Erste Frucht dieser Fortbildung: Auf Initiative Ahrendts soll mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, das gerade zwischen den Fraktionen abgestimmt wird, die Begutachtung Angeklagter bereits im Prozess ausgeweitet werden. Fachleute wie Ex-Bundesrichter Axel Boetticher fordern schon lange, das frühe Gutachten nicht nur bei schuldunfähigen, sondern bei allen Gewalt- und Sexualstraftätern zum Regelfall zu machen

Bleibt die Frage nach den Kosten; immerhin haben sich die Plätze in den bundesweit 61 sozialtherapeutischen Einrichtungen in einem Jahrzehnt auf gut 2200 verdoppelt. Mehrere Studien haben den Aufwand für die Behandlung mit den Kosten eines Rückfalls - Haft, Klinik, Langzeitschäden - gegengerechnet. Fazit: Therapien sparen mehrere 10 000 Euro pro Täter. Aus den USA stammt die Formel: Ein Dollar für die Tätertherapie spart 7,55 Dollar Steuergelder.

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