Bestattung von Lech Kaczynski:Polen gegen Polen

Der Streit um das Grab des Präsidenten spaltet die Nation: Tausende Polen protestieren gegen eine Bestattung auf dem Wawelberg, polnische Medien sprechen schon von "Krieg".

Corinna Nohn

Die Diskussion um die Frage, ob das verunglückte Präsidentenpaar in der Wawelkathedrale beigesetzt werden soll, weitet sich zu einer gesellschaftlichen Großdebatte aus: Immer mehr prominente Polen äußern sich ablehnend zu der Entscheidung, das verunglückte Ehepaar Kaczynski in der Grabstätte der polnischen Könige beizusetzen.

"Polnisch-polnischer Krieg"

Die polnische Tageszeitung Dziennik titelt gar "Polnisch-polnischer Krieg um den Wawel" und mutmaßt: "Keine Seite wird gewinnen, aber Polen wird in die Geschichte eingehen als Staat, der sogar im Angesicht der Tragödie nicht in der Lage ist, einen Kompromiss zu finden."

So laufen einerseits die Vorbereitungen für die feierliche Grablegung in Krakau, an der unter anderem Kanzlerin Merkel, Russlands Premier Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama teilnehmen werden. Außerdem erwartet die Stadt eine halbe Million Besucher.

Gleichzeitig wird der Ton der Proteste schärfer: So demonstrierten am Dienstag und Mittwoch Hunderte in Warschau und Krakau gegen die Beisetzung in der Wawelkathedrale, sie hielten Schilder hoch mit Aufschriften wie "Warschau ja, Wawel nein" oder "Frau Präsidentin, bleiben Sie in Warschau".

Der Facebook-Gruppe "Nein zur Bestattung der Kaczynskis auf dem Wawel" haben sich innerhalb von zwei Tagen mehr als 42.000 Anhänger angeschlossen, und eine Petition gegen den Staatsakt haben bereits über 16.000 Unterstützer unterschrieben. Die Haltung ist klar: Auf dem Wawel liegen Könige, Generäle, Nationaldichter, die die polnische Geschichte entscheidend beeinflusst habe - das Ehepaar Kaczynski sei einfach bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen, mehr nicht.

Auch Filmregisseur Andrzej Wajda, der unter anderem den Film Das Massaker von Katyn geschaffen und einen Oscar für sein Lebenswerk erhalten hat, und seine Frau Krystyna Zachwatowicz-Wajda haben sich nun in einem offenen Brief gegen die Beisetzung der Kaczynskis auf dem Wawel ausgesprochen. Sie schreiben: "Präsident Lech Kaczynski war ein guter, bescheidener Mann, aber es gibt keinen Grund, ihn auf dem Wawel inmitten der polnischen Könige zu bestatten."

Das Paar warnt in dem auf der Homepage der Gazeta Wyborcza veröffentlichten Brief davor, dieser Schritt könnte eine "solche Spaltung der polnischen Gesellschaft wie zuletzt die Unabhängigkeitsbewegung 1989 provozieren". Sie appellieren an die Kirchenführer, die als Urheber und Vorantreiber der Idee gelten, "diese unglückliche und in einer Zeit der Trauer und des Mitgefühls übereilt getroffene Entscheidung zurückzuziehen".

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Proteste gegen die Grablegung auf dem Wawelberg.

Ausgerechnet neben Pilsudski

Wajda und seine Frau monieren auch, dass die Kaczynskis ausgerechnet neben Jozef Pilsudski ihre letzte Ruhestätte finden sollen. Pilsudski war ein umstrittener Militärführer, der wegen seiner militärischen Verdienste im Ersten Weltkrieg verehrt wird und für die Unabhängigkeit Polens zwischen den Weltkriegen steht. Kritisiert wird vor allem seine ablehnende Haltung gegenüber der Kirche.

Die Kritiker stoßen sich zudem daran, dass nicht nur der Präsident, sondern - im Gegensatz zu den Ehefrauen anderer auf dem Wawel beigesetzter Persönlichkeiten - Maria Kaczynska ebenfalls auf dem Wawel ihre Ruhestätte finden soll.

Eine Trauer wie nicht mal nach dem Tod Johannes Paul II.

Der in Danzig lebende Schriftsteller Pawel Huelle bedauert, dass die Debatte über Lech Kaczynski und seine Bedeutung für Polen jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt: "Eine derartige Trauer gab es in Polen nicht einmal nach dem Tod von Johannes Paul II.", stellt er in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung fest. Die Vergöttlichung des verunglückten Präsidenten sei im vollen Gange - selbst Medien, die ihm nicht freundlich gesonnen gewesen seien, "überbieten sich jetzt zu beweisen, dass Lech Kaczynski der größten Pole des 20. Jahrhunderts war".

Niemand, schreibt Huelle, habe wegen der allgegenwärtigen Trauer den Mut, auch über Kaczynskis Versäumnisse zu reden - etwa sein Misstrauen gegenüber der EU, seine "absolute Abneigung gegen Premierminister Tusk" oder die "Tatsache, dass er viele für Polen wichtige Gesetze blockiert hat".

Tatsächlich halten sich die Kritiker und Kommentatoren in den Medien bei diesen Themen zurück. Allerdings äußern sich ständig weitere Politiker, Historiker und andere prominente Persönlichkeiten ablehnend gegenüber dem Staatsakt auf dem Wawel. Insbesondere die Internetseite der linksliberalen Zeitung Gazeta Wyborcza, deren Redaktion sich ebenfalls klar gegen das Begräbnis ausgesprochen hat, ist zur Anlaufstation für die Gegner geworden.

Parallel dazu hat sich die konservative und der Kaczynski-Partei PiS nahestehende Zeitung Rzeczpospolita dafür ausgesprochen, angesichts des schrecklichen Unglücks nicht weiter zu streiten und zu akzeptieren, dass die Entscheidung über die Grabstätte der Kaczynskis nun gefallen ist: Die feierliche Bestattung werde eine ehrenvolle Krönung dieser Woche voller Trauer, die ganz Polen durchlebe, schreibt ein Kommentator.

Die Frage, was die Familienmitglieder der Kaczynskis zu der unerwarteten Entscheidung bewogen hat, einer Beisetzung in Krakau zuzustimmen, ob Jaroslaw Kczynski vielleicht von den Kirchenvertretern, die das Sagen auf dem Wawel haben, überrumpelt worden ist - das spielt in der Debatte eine untergeordnete Rolle.

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