Süddeutsche Zeitung

Besetzte TV-Sender in der Ostukraine:Fernsehen im Sinne des Kremls

Im Ukraine-Konflikt geht es nicht zuletzt um die Kontrolle der öffentlichen Meinung. Im Osten des Landes haben Separatisten den wichtigsten staatlichen Sender besetzt. Von nun an liefert das russische Fernsehen die Informationen - und die Propaganda.

Von Florian Hassel, Donezk

Oleg Dscholos hätte es sich auch leicht machen können. Er hätte zu Hause bleiben können, anstatt über die eigene Abschaffung zu berichten. Als etwa dreihundert prorussische Anhänger der selbst ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" am vergangenen Sonntag den Sitz des staatlichen ukrainischen Regionalfernsehens in Donezk stürmten, war Generaldirektor Dscholos nicht nur klar, dass er nicht mehr lange im Amt sein würde, sondern dass es auch mit dem Staatsfernsehen in Donezk bald vorbei sein würde.

Und so sitzt Dscholos, 41, am Dienstag zum letzten Mal in seinem Büro und verfolgt den Zerfall seines Reiches.

Seit Beginn der Krise in der Ukraine spielt das Fernsehen eine entscheidende Rolle - für die Übergangsregierung in Kiew, die angebliche Erfolge bei der Wiederherstellung ihrer Kontrolle über das Staatswesen feiert, vor allem aber für den Kreml und Russlands Anhänger auf der Krim und im Osten des Landes. Mit verzerrten, oft auch erfundenen Meldungen über die angeblich in Kiew regierenden Faschisten und Gräueltaten gegen die russischsprachige Bevölkerung bereiteten vor allem russische Fernsehsender den ideologischen Boden für die separatistische Offensive.

Und die Propaganda geht unvermindert weiter: So stellte das russische Außenministerium am Montag die Frage, ob Lager, die angeblich die Ukraine gerade für Tausende illegale Migranten baue und die "sehr an faschistische Konzentrationslager erinnern", nicht in Wahrheit für "andersdenkende Mitbürger aus dem Südosten der Ukraine" gedacht seien. Die russische Diplomatie deutet außerdem an, dass die ukrainische Führung bei ihrer Verlegung von Soldaten in den Osten der Ukraine womöglich "die Zerstörung ganzer Städte" vorbereite.

Bisher gab es für die Einwohner der Ostukraine allerdings einige Alternativen zum russischen Fernsehen - in Donezk und Umgebung neben den Privatsendern Donbass TV und Union TV das Staatliche Fernsehen und Radio des Oblasts Donezk (RRT). Aus ihrem imposanten Sendezentrum aus den Fünfzigerjahren, das mit seinem säulengeschmückten Vorbau an Prachtbauten der Stalinzeit erinnert, berichteten Dscholos und 250 Mitarbeiter im Sinne der Regierung in Kiew. Mit seinen Nachrichtensendungen erreichte RRT "knapp zwei der viereinhalb Millionen Einwohner der Region Donezk", schätzt Dscholos, der es in seinen zwei Jahrzehnten im Journalismus vom Lokalreporter zum Fernsehdirektor brachte.

Am Sonntagabend war es damit vorbei. Da stürmten bis zu 300 Anhänger der selbst ausgerufenen, prorussischen "Volksrepublik Donezk" das Sendegelände. "Ihre Forderungen waren einfach", erzählt Dscholos. "Wir mussten die analoge Ausstrahlung unserer eigenen Sendungen in Donezk sofort stoppen und durch den russischen Staatssender Rossija 24 ersetzen." Eine Alternative blieb dem Fernsehdirektor nicht. "Wir hatten zwar einige ukrainische Polizisten und Spezialkräfte auf dem Gelände. Aber die haben nicht eingegriffen, sondern die Republik-Donezk-Anhänger bei der Besetzung gewähren lassen."

Daran änderte sich auch nichts, als der Fernsehdirektor die Mitarbeiter des von der Kiewer Übergangsregierung ernannten Gouverneurs Serhij Taruta informierte - rechtlich der oberste Chef der Region Donezk und Befehlshaber über alle Polizei- und Sicherheitskräfte. Doch schon andere Sitze der Staatsmacht in Donezk - etwa Regionalparlament und -verwaltung - sind seit Wochen von Anhängern der "Volksrepublik Donezk" besetzt. Auch in der Stadt Lugansk besetzen Separatisten am Dienstag den Verwaltungssitz.

Einen Tag nach dem Fernseh- und Radiosender besetzen die Republik-Donezk-Anhänger am Montag auch einen Sendeturm am Stadtrand, dessen Fernseh- und Radiosignale die gesamte Region erreichen. "Es ist eine Lüge, dass Putin die Ostukraine abtrennen will - wahr ist, dass wir zu Putin wollen", sagt ein Polizeioffizier in blauer Uniform am Eingang zum Sendeturm. "Ich bin Polizist, aber ich will auch, dass wir im Osten uns vom Rest des Landes abtrennen. Deshalb helfen wir Polizisten unseren Patrioten von der Volksrepublik Donezk."

Am Montagabend greifen die "Patrioten" in Donezk mehrere Tausend für eine einheitliche Ukraine demonstrierende Bürger an. Etliche werden verletzt, mindestens fünf von ihnen für einige Stunden entführt. Am Montagabend werden in Donezk und Umgebung auch die digitalen Signale von RRT und anderer ukrainischer Fernsehsender abgeschaltet. Als Fernsehdirektor Dscholos am Dienstag zur Arbeit kommt, lassen ihn die Vertreter der Donezk-Republik nicht aufs Gelände. Dscholos lässt sich Stuhl und Tisch aus dem Gebäude bringen und unterschreibt dringende Dokumente im Freien. Erst als der Polizeichef von Donezk lange mit den Vertretern der Separatisten verhandelt, darf der Fernsehdirektor noch einmal in sein Büro.

Im Schnittraum nimmt der Fernsehdirektor einen Beitrag über das Ende seines Senders ab

Vor der Tür wird währenddessen seine Absetzung vorbereitet. Kirill Rudenko, Sprecher der "Volksrepublik Donezk", hat zwei Beschlüsse des - von niemandem je gewählten - "Rates der Volksdeputierten der Volksrepublik Donezk" in der Hand: über die Absetzung von Dscholos als Fernsehdirektor und über die Einsetzung eines neuen Direktors. Doch das Fernsehen bekommt nicht nur einen neuen Chef. "Von heute an wird RRT nicht mehr das Fernsehen der Junta in Kiew sein, sondern der Sender der Volksrepublik Donezk", sagt Rudenko. "Die Redaktion wird wieder auf Sendung gehen - mit einem neuen Chef und einem neuen Programm in unserem Sinne."

Wie das aussehen soll, haben die Journalisten schon zu hören bekommen: etwa keine Berichte mehr über die Vorbereitung zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 25. Mai, sondern nur noch über eine im Osten für den 11. Mai geplante - und laut Verfassung illegale - "Volksabstimmung" über den Austritt aus der Ukraine. Den 250 Mitarbeitern wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als nach der Pfeife der neuen Herren zu tanzen, glaubt Dscholos. In seinem Büro bereitet er seine Absetzung vor. Seinen Fernseher lässt er ebenso wie andere Ausrüstung in ein abschließbares Magazin bringen - "das ist schließlich Staatseigentum."

In einem Schnittraum nimmt er einen letzten Beitrag seiner Redakteure über das nahe Ende als staatlicher Fernsehsender ab. Danach blickt Dscholos wehmütig auf seinen Bildschirm. Noch werden RRT-Sendungen als Livestream im Internet gezeigt. Gerade läuft ein Beitrag aus einer anderen Region der Ukraine. Damit, fürchtet er, ist es bald vorbei. "Dann gibt es hier im Fernsehen nur noch die 'Faschisten in Kiew' zu sehen."

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Quelle:
SZ vom 30.04.2014/fued
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