Süddeutsche Zeitung

Beschwerde in Karlsruhe erfolglos:Euro-Schutzschirm wird gespannt

Das Verfassungsgericht lehnt einen Eilantrag des CSU-Abgeordneten Gauweiler gegen die EU-Hilfen ab. Die inhaltliche Bewertung ist verschoben.

Wolfgang Janisch

Das Bundesverfassungsgericht hat den Weg für den Euro-Schutzschirm freigemacht. Der Zweite Senat unter Vorsitz des Präsidenten Andreas Voßkuhle hat am Donnerstag den Antrag des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Richter stützen ihre Entscheidung aber lediglich auf eine Abwägung der jeweiligen Nachteile, die eine positive oder negative Entscheidung hätte. Damit ist noch nicht vorgezeichnet, inwieweit die inhaltlichen Argumente der Verfassungsbeschwerde die Richter zu überzeugen vermögen.

Zentrales Argument der Beschwerde war Gauweilers Vorwurf, mit dem 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket - an dem Deutschland einen maximalen Haftungsanteil von 148 Milliarden Euro hat - verwandele sich die EU in eine "Haftungs- und Transferunion". Die vertraglich vorgesehene Stabilitätsunion werde dadurch dauerhaft zerstört. Deutschland habe der Währungsunion jedoch nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die stabilitätssichernden Vorschriften angewandt würden. Mit der Missachtung dieser Kriterien verlasse die EU die vertraglichen Grundlagen der Währungspolitik. Außerdem schrumpfe der parlamentarische Gestaltungsspielraum auf Null - 148 Milliarden Euro entspreche dem halben Bundeshaushalt.

Der Senat stützt sich bei seiner Folgenabwägung im Wesentlichen auf die Einschätzung der Bundesregierung: "Würde die Bundesrepublik Deutschland, die an den Finanzmärkten als uneingeschränkt solvent gilt, durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ihre Zusagen auch nur vorübergehend aussetzen müssen, könnte dies nach Einschätzung der Bundesregierung bereits zu einer Vertrauensminderung an den Märkten führen, deren Folgewirkungen nicht absehbar sind", heißt es in dem Beschluss. Zwar sehe Gauweiler die Stabilitätsrisiken gerade im Rettungsschirm selbst, allerdings könne das Gericht dies im Eilverfahren nicht aufklären. Bei der Beurteilung der Lage der internationalen Finanzmärkte komme der Bundesregierung "aufgrund ihrer fachlichen Zuständigkeit, ihrer besonderen Sachnähe und ihrer politischen Verantwortlichkeit ein Einschätzungsvorrang zu, der vorbehaltlich eindeutiger Widerlegung vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren ist". (Az: 2 BvR 1099/10)

Der Freiburger Professor Dietrich Murswiek, der die Beschwerdeschrift verfasst hat, hofft auf eine mündliche Verhandlung. Dort könnte mit Hilfe von Sachverständigen auch die ökonomische Tauglichkeit der Rettungsmaßnahmen überprüft werden, sagte er der SZ. Jedenfalls habe Karlsruhe - entgegen dem Antrag der Bundesregierung - die Beschwerde weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet bezeichnet. Damit bleibe die Frage offen, ob die Maßnahmen gegen das Grundgesetz verstießen.

Zwar hat sich der Zweite Senat in seiner Eilentscheidung keinerlei inhaltliche Andeutungen zu den Erfolgsaussichten der Beschwerde gemacht. Murswieks Schriftsatz wurde aber deutlich ernster genommen als die Wochen zuvor erhobene Beschwerde mehrerer Professoren gegen die Finanzgarantien für das marode Griechenland. Erwogen wurde zeitweise sogar eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg - was eine Premiere in der Geschichte des Karlsruher Gerichts gewesen wäre.

Zwar umfasst der Euro-Rettungsschirm als unmittelbaren Beitrag der EU lediglich 60 Milliarden Euro. 440 Milliarden Euro machen die Garantien der Mitgliedsstaaten der Eurogruppe aus, für weitere 250 Milliarden Euro will der Internationale Währungsfonds einstehen. Fraglich ist aber, ob eine solche Zusammenarbeit der Staaten gleichsam "neben" der EU ebenfalls als ein Akt der Union selbst zu werten ist. Wäre dies so, dann könnte im Euro-Rettungsschirm so etwas wie ein schleichender Übergang zu einer faktischen EU-Wirtschaftsregierung gesehen werden - und zwar womöglich über die vertraglichen Grundlagen der EU hinaus. Karlsruhe hatte sich im Urteil zum Vertrag von Lissabon die Kontrolle über Zuständigkeitsüberschreitungen der Europäischen Union vorbehalten.

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SZ vom 11.06.2010
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