Beschränkungen:Angst vor dem Exitus

Beschränkungen: "Verbote und Beschränkungen sind Ausdruck einer großen Hilflosigkeit": Protestaktion der Veranstaltungsbranche am Mittwoch vor dem Reichstag in Berlin.

"Verbote und Beschränkungen sind Ausdruck einer großen Hilflosigkeit": Protestaktion der Veranstaltungsbranche am Mittwoch vor dem Reichstag in Berlin.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Noch mal alles dicht? Gastronomen und Hoteliers, Konzertveranstalter und Kinobetreiber eint eine Sorge: Sie befürchten, dass viele Betriebe eine neue Zwangspause ein zweites Mal nicht überleben werden.

Von Nicolas Freund und Angelika Slavik

Es sind Zeilen, aus denen die nackte Angst spricht. Noch bevor die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten am Mittwochnachmittag zusammenkamen, schickten Vertreter der Gastronomie einen "Brandbrief" an das Kanzleramt. Würde es wieder einen Lockdown oder "vergleichbare Maßnahmen" geben, die die Schließung von Restaurants, Cafés und Bars zur Folge hätten, würde das vielen selbständigen Unternehmern und ihren Mitarbeitern jegliche Perspektive nehmen und sie "vor die Scherben ihrer Existenz stellen".

Tatsächlich ist Corona für viele Wirtschaftsbereiche ein Albtraum - aber Gastronomie, Hotellerie und die Konzert- und Veranstaltungsbranche leiden in besonderem Maße unter Kontaktbeschränkungen. Ihr Geschäft lebt davon, dass Menschen zusammenkommen.

Vor allem die Gastronomen fühlen sich nun ungerecht behandelt. Schließlich, so argumentieren die Unterzeichner, zeigten doch die Daten, dass die Ansteckungsgefahr in privaten Räumlichkeiten weitaus höher sei als in Gaststätten, die sich an die Hygieneauflagen hielten. Sei es da nicht ausreichend, die "schwarzen Schafe" mit Bußgeldern und Zwangsschließungen zu strafen, statt die ganze Branche in Not zu bringen? Der Brief ist von zahlreichen prominenten Branchenvertretern unterschrieben, zum Beispiel von den Fernsehköchen Tim Mälzer, Cornelia Poletto und Tim Raue, die eigene Restaurants betreiben. Aber auch Unternehmen wie Coca-Cola, Edeka oder Metro unterstützten den Appell gegen strengere Regeln. Der Gastronomie- und Hotellerieverband Dehoga nennt drastische Zahlen. Einem Drittel der 245 000 Betriebe in Deutschland drohe bei einer weiteren Schließung das Aus.

Sollte diese Prognose zutreffen, wäre das ein Desaster auf dem Arbeitsmarkt. Mehr als eine Million Menschen arbeiten in der Branche. Aber auch Menschen, deren Job davon nicht betroffen wäre, schreckt diese Vorstellung. Der Italiener an der Ecke, das Lieblingscafé in der Innenstadt - sie gehören für viele zu dem, was ein gutes Leben ausmacht. Was ist, wenn die Pandemie irgendwann vorübergeht, aber all diese Läden nicht mehr existieren?

Mirko Silz ist der Chef der Restaurantkette L'Osteria. Er sagt, die Branche tue alles, um die Pandemie einzudämmen, und habe bereits investiert: in Trennwände, Hygienestationen und Belüftungssysteme. "Soll dieser Mut umsonst gewesen sein?"

Die Sorge, dass das Coronavirus und die Maßnahmen zu seiner Eindämmung vernichten, was nicht so schnell wieder aufgebaut werden kann, trifft auch die Hotellerie. Ohnehin wollen nur noch wenige Leute überhaupt verreisen. 2020 ist das Jahr von Balkonien. Schon im ersten Halbjahr brachen die Übernachtungszahlen um 47 Prozent ein, zuletzt verursachten Beherbergungsverbote auch in Hotels, die sich an penible Hygienemaßnahmen hielten, für Stornierungswellen. Dazu kommt die Frage, wie Übernachtungsgäste überhaupt an ihr Ziel kommen. Die Vorstellung, womöglich mit Maskenverweigerern in Zug und Flugzeug zu sitzen, ist der Reiselust nicht gerade zuträglich. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe, die nicht zu einer der großen Ketten gehören, könnten zusperren, bevor die Zeiten wieder besser werden. Häuser mit Tradition, unwiederbringlich verloren - das ist nicht nur ein wirtschaftlicher Schaden, sondern auch ein kultureller Verlust.

Das gilt auch für die Konzert- und Eventbranche, für die seit März praktisch Berufsverbot gilt. Marek Lieberberg organisiert normalerweise Festivals wie "Rock am Ring" und "Rock im Park", zu denen Tausende Besucher kommen. Nun seien etwa 1,5 Millionen Jobs bedroht, sagt Lieberberg. Zu ihnen gehören Techniker genauso wie Bühnenbauer. Viele Ton- und Lichttechniker in der Branche arbeiten freiberuflich und haben, trotz kleiner Rettungsversuche wie den Sommerkonzerten im Münchner Olympiastadion, nun praktisch keine Aufträge mehr.

Lieberberg sagt, der Schaden sei schon jetzt kaum wieder gutzumachen. Selbst wenn es nun bald wieder erlaubt wäre, mit wie auch immer gearteten Auflagen Konzerte vor ausreichend großem Publikum zu veranstalten, stünde die Branche vor großen Problemen. Denn die Infrastruktur zur Veranstaltung solcher Events erodiere bereits. Viele aus der Branche suchten sich andere Jobs, um zu überleben - auch Künstler. Und Künstler aus dem Ausland seien durch die Reisebeschränkungen derzeit ohnehin nicht zu bekommen.

Zudem leidet die Branche unter der Kurzfristigkeit der Entscheidungen. Konzerte brauchen in der Regel mehrere Monate Vorlaufzeit. Bei den sich derzeit ständig ändernden Corona-Regeln sind sie unmöglich. Festivalveranstalter Lieberberg hat dafür wenig Verständnis: "Verbote und Beschränkungen sind Ausdruck einer großen Hilflosigkeit und führen jede vernünftige Planung ad absurdum", sagt er.

Nur unwesentlich besser ist die Lage für Kinos und Theater. Die meisten Theater in Deutschland sind staatlich subventioniert - dennoch sind sie in Schwierigkeiten. Die Fixkosten sind in der Regel ziemlich hoch, deshalb trifft der Ausfall von Einnahmen oder Subventionen sofort das künstlerische Programm. Zudem stehen viele Theater auch vor einem Relevanzproblem. Wie soll ein Ort, an dem gesellschaftliche Diskurse verhandelt werden sollen, mit nur einer Handvoll Zuschauer funktionieren?

Die meisten Kinos bekommen dagegen keine staatlichen Subventionen und sind ganz auf Ticketverkäufe angewiesen, von denen wiederum mehr als die Hälfte an die Filmverleiher fließt. Für Lichtspielhäuser galten schon in den vergangenen Monaten strenge Regeln, in manchen Bundesländern gab es sogar am Platz noch Maskenpflicht. "Kinos haben sich als sichere Orte erwiesen", sagt Christian Bräuer, Vorstandschef der Arbeitsgemeinschaft Kino, dem Verband der Filmtheater. "Weltweit ist kein Fall eines Kinos bekannt, das zum Infektionsherd wurde."

Dennoch sind viele Zuschauer inzwischen zu den Streamingdiensten abgewandert. Deren Abozahlen explodierten seit dem Frühjahr. Den traditionellen Kinos hingegen blieb Erleichterung verwehrt. Der Actionthriller "Tenet", der den Kinos einen Neustart bescheren sollte, blieb hinter den Erwartungen zurück. Zudem sind nicht nur die Infektionsschutzmaßnahmen ein Problem für die Lichtspielhäuser. Viele Filmverleihe haben ihre Blockbuster ins Jahr 2021 oder gleich auf unbestimmte Zeit verschoben - dazu gehört auch der neue James-Bond-Film. Der wäre in früheren Zeiten ein garantierter Kassenerfolg gewesen. Nun aber gilt: Selbst wenn Menschen wieder in die Säle dürfen, es fehlen die Filme.

Die Bundesregierung versucht offenbar, dem Unwillen und den Sorgen jedenfalls ein Stückweit Rechnung zu tragen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigten an, von den neuen Regeln besonders getroffenen Firmen große Teile ihres Umsatzausfalls zu ersetzen. Kleine Betriebe sollen bis zu 75 Prozent ihrer Umsatzausfälle vom Bund erstattet bekommen, größere Betriebe bis zu 70 Prozent. "Wenn es etwas Faires an dem Beschluss gibt", sagt denn auch Kino-Mann Bräuer, "dann dass man auch gleich über Kompensationen spricht. Die müssen schnell kommen."

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