Süddeutsche Zeitung

Beschneidungsdebatte in Israel:Streit um ein göttliches Gebot

Unerwartet heftig erregt sich Israel über die Beschneidungsdebatte in Deutschland. Präsident Peres schreibt an seinen Kollegen Gauck, Innenminister Jischai an Kanzlerin Merkel. Sie fordern eine Regelung, die den Tausende Jahre alten jüdischen Traditionen gerecht wird.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Mit plötzlicher Wucht erregt die deutsche Debatte über die Beschneidung nun auch in Israel wieder die Gemüter. Präsident Schimon Peres appellierte in einem offiziellen Schreiben an Bundespräsident Joachim Gauck, "die Werte der religiösen Freiheit zu sichern". Wesentlich deutlicher wurde zuvor Innenminister Eli Jischai von der ultra-orthodoxen Schas-Partei, der ebenfalls schriftlich von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Machtwort zur Rechtmäßigkeit der Beschneidung forderte.

Zugleich sprießen aus allerlei Ecken die Vorwürfe des Antisemitismus - bis hin zu Vergleichen mit der Zeit des Holocaust. Trotz vieler Beschwichtigungsversuche droht nun diese delikate Frage zu einem politischen Streitthema zwischen Israel und Deutschland zu werden.

Auslöser der Aufwallung ist die Anzeige eines deutschen Arztes gegen den Rabbiner und Beschneider David Goldberg aus Hof. Dies ist der erste bekannt gewordene Fall seit dem Urteil des Kölner Landgerichts, das im Juni die Beschneidung Minderjähriger als Körperverletzung gewertet hatte. Im Anschluss an das Urteil sprach sich allerdings der Bundestag in einem Entschließungsantrag mit großer Mehrheit für ein Gesetz aus, das die fachgerechte Beschneidung für zulässig erklären soll. Ein Entwurf soll noch im Herbst vorliegen.

Zudem hatte ein Auftritt des deutschen Botschafters Andreas Michaelis vor einem Knesset-Ausschuss die Israelis beruhigt. Nun aber bricht die eigentlich eingefrorene Kontroverse mit Macht wieder los - und dahinter scheint nicht zuletzt ein "innenpolitischer Schönheitswettbewerb" zu stecken, wie es ein Beobachter formuliert.

Präsident Peres dringt bei Gauck nun auf eine schnelle und klare rechtliche Regelung. "Die Beschneidung", so schreibt er, "ist seit Tausenden Jahren ein zentraler Aspekt unserer jüdischen Identität." Während Peres jedoch gewohnt konziliant zugleich sein Vertrauen ausdrückt, dass die demokratischen Institutionen Deutschlands die freie Religionsausübung gewährleisten, scheint Innenminister Eli Jischai das Thema zur politischen Profilierung bei seiner strenggläubigen Klientel nutzen zu wollen.

In seinem Brief an Merkel, der vorab über die Medien bekannt gemacht wurde, warnt er, dass Juden in Deutschland nicht gezwungen werden dürften, sich "zwischen der Einhaltung nationaler und göttlicher Gesetze" zu entscheiden. "Als Stellvertretender Ministerpräsident, Innenminister und Vorsitzender der größten religiösen Partei, aber vor allem als Jude wende ich mich an Sie mit der Bitte, dieses Phänomen zu beenden", schreibt er.

Jischais Brief stieß jedoch selbst im eigenen Lager auf Widerspruch. Das israelische Außenministerium betonte, der Vorstoß sei nicht abgesprochen gewesen. Eine Einmischung in rechtliche Angelegenheiten eines anderen Landes könne am Ende sogar kontraproduktiv sein, hieß es. Kritik kam zudem vom Zentralrat der Juden in Deutschland. "Weder die Kanzlerin noch die Bundesregierung brauchen Belehrungen aus Israel", sagte der Generalsekretär Stephan Kramer der Berliner Zeitung. Nötig sei "kein Schnellschuss", sondern eine sorgfältige gesetzliche Regelung.

Solche Mahnungen zur Versachlichung erscheinen dringend geboten, denn es wird immer deutlicher, welch gefährliche Gräben die Kontroverse um die Beschneidung aufreißt. Der Hofer Rabbiner Goldberg bezeichnete die Vorgänge in Deutschland in Interviews mit mehreren israelischen Medien als "klar antisemitisch". Er berichtet von Anrufen und E-Mails, in denen die Beschneidung als primitiv geschmäht werde und man ihn auffordere, das Land zu verlassen. Die Anklage gegen ihn "versetze Deutschland zurück in die dunklen Tage", glaubt er.

Noch drastischer und mit bitterem Sarkasmus äußerte sich Israels einflussreicher früherer aschkenasischer Oberrabbiner Israel Meir Lau. "Es ist erstaunlich zu sehen, dass Deutsche ihre Sensibilität gegenüber dem Weinen eines Babys entdecken. Ich habe diese Erfahrung in meiner Kindheit nicht gemacht", wird der 75-Jährige zitiert, der das Konzentrationslager Buchenwald überlebt hat. "Das Leben eines jüdischen Kindes war den Deutschen damals gleichgültig."

Zudem zeichnet sich bereits ab, dass auch die angestrebte gesetzliche Regelung kein Ende der Kontroverse bringen dürfte. Zwar hat sich der Deutsche Ethikrat in einer Anhörung in dieser Woche dafür ausgesprochen, die Beschneidung zu erlauben, er hat dafür aber bestimmte Bedingungen formuliert, wie die Aufklärung der Eltern und eine fachgerechte medizinische Ausführung. Rabbi Lau erklärte dazu bereits: "Wir brauchen von ihnen keine Lizenz, um wie Juden zu leben". Vielleicht aber, so folgert er, habe all das auch sein Gutes, "wenn die Juden dort verstehen, dass sie dort nicht hingehören".

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SZ vom 25.08.2012/liv
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