Süddeutsche Zeitung

US-Präsidentschaft:Der Revoluzzer will es nochmal wissen

Lesezeit: 3 min

Von Alan Cassidy, Washington

All jene Amerikaner, die immer noch mit "Bernie"-Aufklebern am Auto herumfahren, werden sich freuen: Sie brauchen die Dinger nicht abzuschaben. Bernie Sanders, Senator aus Vermont, kandidiert erneut für die US-Präsidentschaft. Beim letzten Mal hatte er seine Ankündigung noch vor einer Handvoll Journalisten auf einem Stück Rasen außerhalb des Kapitols gemacht, als Außenseiter, von dem niemand glaubte, dass er der Favoritin Hillary Clinton die demokratische Nominierung ernsthaft streitig machen würde. Vier Jahre später ist seine zweite Kandidatur ein Medienereignis größeren Ausmaßes, begleitet von aufgeregten Tweets und langen Analysen. Glaubt man den bisherigen Umfragen, ist Sanders inzwischen selbst einer der Favoriten für die demokratische Vorwahl.

"Wir haben mit der letzten Kampagne eine politische Revolution begonnen", sagte er im Radiosender Vermont Public Radio, "jetzt ist es an der Zeit, diese Revolution fortzuführen." Es gehe nicht nur darum, Donald Trump zu besiegen, den Sanders als "gefährlichsten Präsidenten in der modernen amerikanischen Geschichte" bezeichnete sowie als "Rassisten, Sexisten und Xenophoben". Es gehe darum, eine Regierung zu bilden, die auf wirtschaftlicher, sozialer und ethnischer Gerechtigkeit gründe. Als er seine progressive Agenda letztes Mal vorgestellt habe, seien seine Ideen als radikal und extrem abgetan worden, schrieb er in einer E-Mail an seine Unterstützer: "Inzwischen werden sie von einer Mehrheit der Amerikaner unterstützt."

Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt. Tatsache ist aber, dass sich seit Sanders' erster Kandidatur einiges verändert hat, das ihm zugute kommt - und einiges, das gegen ihn spricht. Die Demokraten sind in den vergangenen Jahren nach links gerückt. Viele seiner wichtigsten und frühesten Programmpunkte sind dort inzwischen Mainstream. Das gilt für die Einheitskrankenkasse, den gesetzlichen Mindestlohn von 15 Dollar oder die Reform der Regeln zur Parteienfinanzierung: Kaum ein demokratischer Politiker, der diese Forderungen nicht teilt, kaum ein Präsidentschaftskandidat, der nicht gelobt, kein Geld von Lobbygruppen anzunehmen. Der nominell unabhängige Senator hat der Partei seinen Stempel aufgedrückt.

Die laute Klage über Amerikas Superreiche hört man jetzt von vielen Demokraten

Zugleich hat Sanders damit einen Vorteil eingebüßt. Während er 2016 davon profitierte, dass er für demokratische Parteigänger die einzige Alternative zu Clinton war, ist er dieses Mal einer von sehr vielen Bewerbern - der "Bitte nicht Hillary"-Bonus ist weg. Einige dieser Konkurrenten treten selbst mit einem dezidiert linken Programm an, allen voran Elizabeth Warren, Senatorin aus Massachusetts, die unlängst einen Plan für eine Vermögensteuer für Superreiche vorstellte. Die laute Klage über die "Millionäre und Milliardäre", die in jeder Sanders-Rede viel Platz einnimmt, tragen inzwischen auch andere Demokraten vor. Gut möglich also, dass sich die Stimmen der Sanders-Wähler auf verschiedene Kandidaten verteilen.

Vielleicht hat Sanders auch aus diesem Grund einiges unternommen, um sein Profil zu verbreitern, etwa, indem er vermehrt außenpolitische Themen aufgreift. Gemeinsam mit dem Republikaner Mike Lee reichte er eine später vom Senat überwiesene Resolution ein, die ein Ende der US-Unterstützung für den von Saudi-Arabien geführten Krieg in Jemen forderte. Er fand dafür im von den Republikanern gehaltenen Senat eine Mehrheit. Ausgebaut hat Sanders zudem seine Unterstützerbasis, die es ihm 2016 mit Tausenden Kleinspenden erst ermöglichte, Clinton gefährlich zu werden. Er absolvierte bereits in den vergangenen Monaten Dutzende von Auftritten im ganzen Land.

Bei Amtsantritt wäre Sanders 79 Jahre alt

Verändert haben sich bei den Demokraten allerdings nicht nur gewisse inhaltliche Schwerpunkte, verändert hat sich auch das Gewicht, das Frauen und Afroamerikaner in der Partei haben. In der Opposition sind die Demokraten weiblicher und bunter geworden. Sanders, der in Brooklyn geborene Sohn einer jüdischen Familie, hatte schon bei seiner letzten Kandidatur große Mühe, Stimmen der Schwarzen zu holen. Im wichtigen Vorwahlstaat South Carolina stimmten damals nur 14 Prozent der Afroamerikaner für Sanders, 86 Prozent wählten Clinton. Hinzu kommen die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung durch Mitarbeiter seiner damaligen Kampagne, die an Sanders offenbar komplett vorbeigingen - in Zeiten der "Me Too"-Bewegung ein Problem.

Und dann ist da auch noch das Alter des Kandidaten. 77 Jahre ist Sanders heute. Im Fall eines Sieges in den Vorwahlen wäre er der älteste Kandidat, den eine große Partei je nominiert hat. Gewänne er anschließend auch noch die Präsidentschaftswahl, wäre er bei Amtsantritt im Januar 2021 dann 79 Jahre alt. Ein frisches Gesicht sieht anders aus.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2019
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