Bernd Lucke:Lucke: "Ich halte es für falsch, die AfD zu verteufeln"

dpa-Story: Strategen der AfD

Alfa-Chef Bernd Lucke: "Da fehlte den heutigen Funktionären der AfD einfach das politische Rückgrat, auch mal Nein zu sagen, wenn man Positionen der Basis nicht für richtig hält." (Archivbild).

(Foto: dpa)

Die alte Partei AfD zweistellig, die neue, Alfa, bei einem Prozent. Harte Zeiten für Bernd Lucke. Ein Gespräch über Goethes Zauberlehrling und bizarre Ansichten künftiger AfD-Abgeordneter.

Interview von Lars Langenau

Bernd Lucke, 53, ist Professor für Volkswirtschaft und hat sich von der Universität Hamburg beurlauben lassen. Seitdem ist er Vollzeit-Politiker und seit zwei Jahren Abgeordneter in der EU-kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer in Brüssel. 33 Jahre war er in der CDU, trat danach für die Freien Wähler in Niedersachsen an und gründete im Februar 2013 die AfD, deren Bundessprecher er neben Frauke Petry und Konrad Adam war. Nach seiner Abwahl verließ er die Partei im Juli 2015 und wurde Chef der neu gegründeten Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa), die etwa 2800 Mitglieder hat.

Herr Lucke, was haben Sie da bloß angerichtet?

Bernd Lucke: (lacht) Ich habe nichts angerichtet! Den Rechtsrutsch der AfD haben andere betrieben. Ich habe dagegen gekämpft, bis man mich deshalb schließlich abgewählt hat.

Die Geister, die jetzt geweckt wurden, sind wirklich neu?

Ich habe mich immer gegen diese Geister gewendet.

Wenn man Goethes Ballade vom Zauberlehrling liest, dann passt das schon: "Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Wie sehen Sie das?

Passt super auf die jetzige AfD-Führung. Sie wissen doch: Es war der Lehrling, der die Geister rief. Hinter dem Rücken und gegen den Willen des Meisters.

Sie sehen sich als Meister?

Eine Partei ist keine Zauberschule. Ich war Bundessprecher der AfD. Und als solcher habe ich mich stets gegen Fremden- und Islamfeindlichkeit, gegen antiamerikanische oder antikapitalistische oder verschwörungstheoretische Strömungen gewandt. So sehr, dass man mir innerparteilich vorwarf, ich würde Denkverbote verhängen. Nach dem Parteitag in Essen hat man gejubelt, dass jetzt endlich der Lucke mit seinen roten Linien weg ist. Man kann in einer Partei nicht zaubern, sondern man braucht Mehrheiten. Wenn die sich verschieben, verliert man die Kontrolle.

Ihr Kollege Hans-Olaf Henkel sagt, dass die AfD "ein Monster" sei. Für Sie auch?

Nein. Ich halte es für falsch, die AfD zu verteufeln. Das sind Bürger, die in vielen Punkten Meinungen haben, die ich entschieden ablehne. Aber man darf in einer Demokratie auch anderer Meinung sein. Man muss die Punkte benennen, bei denen die AfD keine Lösung vorzuweisen hat und wo sie Positionen vertritt, die mit einer offenen und toleranten Gesellschaft nicht übereinstimmen. Manches, was die AfD sagt, ist borniert oder schlecht informiert. Dagegen kann man argumentieren. Aber man sollte die AfD nicht pauschal beschimpfen, denn das stärkt sie letztlich nur.

Wieso stärkt sie das?

Weil ihre Wähler pauschale Beschimpfungen zu Recht als Schwäche verstehen. Sie geben dann der AfD recht, weil keine Gegenargumente kommen. Und leider sind die Wähler oft noch nicht einmal gut darüber informiert, was die AfD wirklich will.

Was unterscheidet Alfa von der AfD?

Ihre neue Partei hat ein Programm, von der AfD kursieren bislang nur Entwürfe. Was unterscheidet Alfa von der AfD?

Wir stehen eindeutig zur Westbindung, zur Mitgliedschaft in Nato und EU. Wir liebäugeln nicht mit einem EU-Austritt, sondern wir wollen die EU reformieren und verbessern, wie das auch der britische Premier David Cameron will. Islamophobie, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus werden Sie bei uns nicht finden. Fundamentalistische Systemkritik und Verschwörungsdenken auch nicht. Wir sind wirtschaftliberal, wir befürworten den Freihandel und lehnen den Mindestlohn eindeutig ab. Wir schwadronieren auch nicht von einer Obergrenze von minus 200 000 Flüchtlingen ...

Sondern?

... sondern wir wollen, dass sich unsere Flüchtlingsaufnahme der jeweiligen Aufnahmefähigkeit der Städte und Gemeinden anpasst. Wir nennen das eine "atmende Obergrenze", die sich an der Verfügbarkeit von Wohnraum, Arbeitsplätzen, Schulen und an möglichen sozialen Problemem in den Kommunen orientiert. Wir haben uns da sehr ausführlich von Verfassungsjuristen beraten lassen. Eine atmende Obergrenze wäre sachlich begründet und könnte deshalb vor Gericht bestehen. Eine fixe Obergrenze, wie sie die CSU mit 200 000 Menschen in diesem Jahr will, wäre willkürlich und deshalb nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Als Sie als Parteichef der AfD abtraten, gab es da schon eine eigene Parteiprogrammatik?

Es sollte eigentlich einen Programm-Parteitag im November 2015 geben, doch das wurde durch die Spaltung der Partei zur Makulatur. Die Facharbeitskreise waren von der Austrittswelle besonders betroffen. Die kompetenteren Mitglieder haben die AfD damals einfach verlassen.

Sind die alle bei Alfa gelandet?

Nicht alle, aber ein erklecklicher Teil. Und das hat es uns ermöglicht, sehr zügig ein wirklich gutes Parteiprogramm für Alfa zu verabschieden.

Ist die AfD eine Volkspartei?

In Sachsen-Anhalt bekam die AfD mit 24,2 Prozent mehr Stimmen als SPD, Grüne und FDP zusammen. Ist die AfD jetzt eine Volkspartei?

Sie war schon zu meiner Zeit eine kleine Volkspartei, denn sie hatte Wähler aus allen Schichten des Volkes. Anders als z. B. die FDP, die ja mehr Klientelpartei ist. Jetzt ist das Wählerspektrum der AfD wohl auch sehr durch die sogenannten "kleinen Leute" verstärkt worden. Das zeigen ja die horrenden Verluste der SPD.

Würden Sie denn im Gegensatz zur AfD mitregieren wollen?

Ja, natürlich. Wir haben Alfa gegründet, weil wir Politik gestalten wollen und das heißt letztlich natürlich mitregieren. Im Gegensatz zur AfD, die sich in einer Fundamentalopposition sieht, wollen wir Verantwortung tragen, weil wir verändern wollen.

Was prognostizieren Sie der AfD für eine Zukunft?

Ich bin kein Hellseher.

Was wünschen Sie ihr?

Ich würde mir wünschen, dass die Bevölkerung wieder zu Parteien zurückfindet, die konstruktive, sachliche Arbeit machen und nicht nur Stimmungen schüren. Die Balkanroute ist jetzt faktisch zu und deshalb kommen kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland. Ich hoffe, dass wir uns neben der Integrationsproblematik, die jetzt unvermeidlich kommen wird, auch wieder anderen wichtigen Themen zuwenden werden. Bildung, Energie, Euro, Europa und die große Rentenkrise, auf die wir zulaufen, sind doch auch von enormer Bedeutung.

Jetzt hat Alfa ein Prozent in Baden-Württemberg erreicht und in den anderen Bundesländern noch darunter. Für wie realistisch halten Sie es, dass Ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde einmal nehmen wird?

Nun, das war unser erster Wahlantritt und unser Bekanntheitsgrad ist leider noch völlig unzureichend. Gemessen daran, dass uns gefühlt vielleicht zehn Prozent der Wähler kennen, ist ein Prozent gar nicht so schlecht. Der Schlüssel zum Erfolg bei der Bundestagswahl ist schlicht eine Steigerung unserer Bekanntheit.

Herr Lucke, Sie haben das doch alles gar nicht nötig

Herr Lucke, Sie sind Professor in Hamburg, Sie haben das doch alles gar nicht nötig. Warum machen Sie das? Sind Sie ein Idealist?

Klar, wenn es mir um meine persönliche Bequemlichkeit ginge, würde ich sofort an die Uni Hamburg zurückgehen. Aber ich habe eben politischen Gestaltungswillen. Ich glaube, dass wir in Deutschland und der EU erhebliche Fehlsteuerungen haben und auf große Probleme zulaufen. Die müssen wir jetzt korrigieren, damit wir die Zukunftsfähigkeit des Landes bewahren und sichern können.

Warum haben Sie eigentlich nicht die FDP intellektuell unterwandert?

Weil die FDP damals und heute den Euro bejaht und die mit ihm verbundenen Probleme bagatellisiert. Auch weil sie die EU zu einem europäischen Bundesstaat machen will, in dem die Nationalstaaten aufgehen. Das halte ich für völlig falsch, denn wir sehen doch gerade, dass vieles gemeinschaftlich nicht funktioniert. Weder die Währungspolitik noch die Flüchtlingspolitik und auch nicht die Sozialpolitik, bei der Herr Cameron gerade nationale Kompetenzen zurückerobert hat.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Tories in der gemeinsamen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten?

Sehr gut, wir haben einen klaren politischen Grundkonsens. Er orientiert sich daran, dass wir die EU als einen Bund unabhängiger, souveräner Staaten begreifen und stets genau prüfen, ob Brüssel wirklich so viele Kompetenzen braucht oder vieles nicht besser von den Mitgliedsstaaten geregelt wird. Eigene Gesetze kann man immerhin wieder aufheben, wenn sie sich nicht bewähren.

Und wie mit der sehr umstrittenen polnischen Regierungspartei PiS?

Die Polen sind viel besser als ihr Ruf. Wenn man die Kollegen kennt, merkt man, wie verzerrt das Bild ist, das viele deutsche Medien von der PiS zeichnen. In Polen ist vieles anders als bei uns, aber in Sachen Demokratie und Freiheitswillen brauchen wir denen wirklich keine Lektionen zu erteilen. Ich kann nur raten, das Gespräch mit Polen zu suchen und sich gründlich über die Maßnahmen der neuen Regierung zu informieren, ehe man den Untergang der Rechtsstaatlichkeit an die Wand malt. Solange Regierungen in Deutschland verfassungswidrige Haushalte verabschieden, den Maastricht-Vertrag brechen und Einreisebestimmungen per Kanzlerwort außer Kraft setzen, kommt es uns nicht zu, die Polen abzuwatschen.

Zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus

Die AfD stellte sieben EU-Abgeordnete. Inzwischen sind fünf bei Alfa und zwei noch bei der AfD. Wie gehen Sie miteinander um?

Wir gehen aneinander vorbei.

Beatrix von Storch und Marcus Pretzell sollen am 12. April aus der euroskeptischen Fraktion ausgeschlossen werden. Was erwarten Sie?

Der Fraktionsvorstand hat ihnen nahegelegt, sich eine neue Fraktion zu suchen. Das gestaltet sich anscheinend schwierig. Man scheint sich nicht gerade um sie zu reißen. Aber ich kann mir schwer vorstellen, dass die AfD-Abgeordneten die Demütigung eines Rausschmisses hinnehmen wollen. Deshalb denke ich, dass sie wohl vor dem 12. April gehen werden.

Haben Sie eine Erklärung für den Wandel von Alexander Gauland?

Gauland war einst ein intellektueller Konservativer. Dass er zu einem Populisten und Scharfmacher geworden ist, empfand ich als eines der bedrückendsten Erlebnisse, die ich in der AfD gemacht habe. Ihn scheinen die Wahlkämpfe auf der Straße sehr zu prägen. Er will das Sprachrohr der einfachen Menschen sein. Aber warum er sich dazu hergibt, das unreflektiert und ungefiltert zu tun, kann ich nicht wirklich verstehen.

Waren Sie bei der AfD von den falschen Leuten umgeben?

Anfangs nicht, da waren auch Gauland und Petry viel moderater. Doch im Laufe der Zeit hat sich die Parteibasis radikalisiert und sie haben sich mittreiben lassen und deren Positionen übernommen. Da fehlte den heutigen Funktionären der AfD einfach das politische Rückgrat, auch mal Nein zu sagen, wenn man Positionen der Basis nicht für richtig hält. Das hängt wahrscheinlich aber auch damit zusammen, dass ein nicht kleiner Teil des AfD-Führungspersonals beruflich gescheitert war und seine einzige Berufsperspektive eben in der Partei sah.

Kennen Sie noch das Personal, mit dem die AfD all die neuen Posten besetzen wird?

(lacht) Oh ja, einige kenne ich noch sehr gut. Es gibt Leute, die haben einfach erschreckend wenig Ahnung, und es gibt andere, die sich ideologisch in bestimmte Sachen verbissen haben und sehr bewusst im Bereich zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus unterwegs sind. Die haben zum Teil so bizarre Ansichten, dass man sich wundern muss, wieso der Wähler ihnen zumindest teilweise die Geschicke unseres Landes anvertraut hat.

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