Stefanie Winde sitzt für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus und hat gerade ihr zweites Kind bekommen.
sueddeutsche.de: Herzlichen Glückwunsch Frau Winde, Sie sind vermutlich die bundesweit erste Parlamentarierin, die einen Platzverweis wegen Stillens bekommen hat.
Stefanie Winde: Na, ganz so ist es nicht gewesen. Ich wurde von unserem Parlamentpräsidenten Walter Momper gebeten, doch das nächste Mal einfach in eine hintere Reihe zu gehen.
sueddeutsche.de: Sie saßen diesmal mit ihrer kleinen Tochter in der ersten Reihe. Welchen Unterschied macht das?
Winde: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Wir haben nur sieben Stuhlreihen im Abgeordnetenhaus. Da sieht man in der ersten auch nicht viel mehr, als wenn ich in der letzten Reihe sitze.
sueddeutsche.de: Hat es Sie überrascht, dass ausgerecht Herr Momper Sie darauf anspricht?
Winde: Es hat sich eine Kollegin von der CDU bei ihm beschwert. Sie sah sich wohl in ihrem Schamgefühl verletzt. Darauf muss er Rücksicht nehmen und ich auch. Das ist in Ordnung.
sueddeutsche.de: Ganz gelassen klingen Sie nicht.
Winde: Ich habe mich in dem Moment schon sehr geärgert. Ich gehöre nicht zu denen, die sich vollends entblößen, wenn sie ihr Kind stillen. Ich habe immer ein Tuch dabei, das ich über die Brust lege, so dass eigentlich niemand etwas sehen kann.
sueddeutsche.de: Warum gehen Sie nicht einfach in einen Nebenraum?
Winde: Wie Sie wissen, sind die Mehrheitsverhältnisse in Berlin so, dass jede Stimme gebraucht wird. Ich kann also nicht einfach während einer Abstimmung den Plenarsaal verlassen und mein Kind stillen. Wir können uns auch nicht vertreten lassen oder in Elternzeit gehen wie andere Frauen. Es gibt im Moment keine andere Möglichkeit, als mein Kind in den Plenarsaal mitzunehmen.
sueddeutsche.de: Sie kommen gerade aus einer Plenarsitzung. Wo ist Ihr Kind jetzt?
Winde: Bei meinem Mann. Der konnte heute für wenige Stunden herkommen. Das klappt sehr selten.
sueddeutsche.de: Gibt es eine andere Lösung?
Winde: Wir müssen uns im Parlament grundsätzlich mal fragen, wie wir mit Müttern und Vätern von kleinen Kindern umgehen, die ihre Kinder mitbringen müssen.
sueddeutsche.de: Moment, Väter kommen doch eher selten in die Verlegenheit, stillen zu müssen.
Winde: Aber manchmal müssen auch die ihre Kinder mitbringen, weil die Mütter woanders eingespannt sind. Da gibt es dann schon auch komische Blicke, wenn das Kind mal etwas lauter wird.
sueddeutsche.de: Was bräuchten Sie also?
Winde: Im Grunde müsste ich eine Auszeit nehmen können, ohne dass meine Stimme für meine Fraktion verloren geht. Aber das ist rechtlich schwierig.
sueddeutsche.de: Und eine eigene, vom Parlament bezahlte Betreuungsperson?
Winde: Das wäre schon gut. Mir würde es aber nicht helfen. Stillen muss ich mein Kind immer noch selbst.