Berlin:Zuflucht bei Gottfried

Pfarrer Martens unterrichtet Muslime aus Afghanistan und Iran, die Christen werden wollen.

Von Matthias Drobinski, Berlin

Da kommt es her, sagt Jason und klopft mit der Faust auf die linke Seite der Brust. Vom Herzen. Vor ein paar Jahren bekam der heute 37-Jährige die Bibel in die Hand. Für Jason öffnete sich ein neuer Horizont: "Der Islam, das bedeutete Regeln, Verbote, Vorschriften. Das Christentum ist für mich Freiheit", sagt er. Eine gefährliche Freiheit - das Abfallen vom Islam wird in Iran bestraft. Je sicherer sich Jason seines Glaubens wurde, desto klarer war ihm: Du musst nach Europa. Er sparte Geld, ließ Frau und zwei Kinder zurück. Seit einem halben Jahr ist er in Berlin. Wenn er zu Hause anruft, erzählt er nichts von Pfarrer Martens, der Taufe, dem neuen christlichen Vornamen. Wer weiß, wer mithört.

Der Raum, in dem Jason seine Geschichte erzählt, ist eng und muffig. Menschen drängen sich vorbei ins Kirchenschiff, die meisten sind Jungs Mitte zwanzig, in Turnschuhen, engen Jeans und körperbetonenden Pullovern, einige mit diesen Fußballerfrisuren, wo das Haar unten kurz rasiert ist und oben zu merkwürdigen Figuren festgesprayt. Jungs, wie sie sonst selten in der Kirche zu sehen sind, schon gar nicht in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), einer von den evangelischen Landeskirchen getrennten Freikirche. Aber die Dreieinigkeitskirche in Berlin-Steglitz ist besonders. Vor zwei Jahren stand die bröcklige Betonkirche vor dem Abriss. Jetzt drängeln sich am Dienstagnachmittag um halb vier 175 Menschen aus Afghanistan und Iran in den Bänken und hören, was Gottfried Martens ihnen über ihren neuen Glauben erzählt. Morgen, am Mittwoch, werden es noch einmal so viele sein.

Ein Wunder, sagen die einen. Ein Sieg über den Islam, raunen andere. Eine billige Abwerbung, kritisieren Dritte. Eine gute Strategie, um Asyl in Deutschland zu erhalten, heißt es hinter den Asylentscheider-Türen. Pfarrer Martens sagt: "Die Menschen waren einfach da." Vor vier Jahren stand ein Paar aus Iran vor seiner Tür und bat um die Taufe. Die hatten Bekannte, die Bekannten wieder Bekannte. Und dann kamen die Flüchtlinge. Heimlich interessieren sich in Iran viele Menschen fürs Christentum, sagt der Pfarrer. Viele Mullahs gelten als borniert, das Christentum wirkt attraktiv anders, westlich. Gar keiner Religion anzugehören, ist unvorstellbar für jene, die bei Martens auftauchen.

Pfarrer Martens ist ein schmaler Mann mit unzeitgemäßem Schnäuzer. An diesem Dienstag steht er in schwarzer Hose und schwarz-silbrigem Pullover vor den Taufkandidaten. Er bringt ihnen den Katechismus nahe; ein Dolmetscher überträgt, was er sagt, ins Farsi, das verstehen Perser wie Afghanen. Zuerst aber kontrolliert der Pfarrer die Anwesenheit. Wer unentschuldigt fehlt, riskiert die Taufe; wer Lücken im Glaubenswissen hat, muss zur Nachhilfe. Der Eindruck soll gar nicht erst entstehen, hier würden Muslime im Schnelldurchgang zu Christen gemacht. Jene Gemeinden, die Flüchtlinge en gros im Schwimmbad taufen, sieht Martens mit Skepsis. "Ich prüfe bei jedem Bewerber die Motive", sagt er.

Muslime treten in das Christentum über

"Die Menschen waren einfach da." Pastor Gottfried Martens segnet in der Evangelisch-Lutherischen Dreieinigkeitskirche eine Familie.

(Foto: Lukas Schulze/dpa)

Die Taufkatechese ist ein schnörkelloser Frontalunterricht. Fünftes Gebot: Du sollst nicht töten. "Nur Gott hat das Recht, das Leben eines Menschen zu beenden", ruft μMartens in den Kirchenraum. Das gilt auch für den Suizid, fährt er fort. "Depression ist eine gefährliche Krankheit. Achtet auf Anzeichen bei euch und bei anderen. Nehmt das ernst." Und meidet die Drogen, fügt Martens hinzu. Und Vorsicht beim Alkohol. Er ist nicht verboten, "aber Christen sollten die Kontrolle über sich behalten".

Fragen? Schweigen. Sechstes Gebot. "Jetzt sollten vor allem die Männer hinhören!", sagt Martens und hebt die Stimme. Seine Botschaft: Die Frau ist kein Besitz des Mannes. Man kann nur eine Frau heiraten. Es ist verboten, eine Frau zu schlagen, "dann kommt in Deutschland die Polizei." In einer Ehe soll man sich achten und respektieren. Jesus will keine Scheidung, aber manchmal ist eine Trennung besser, als sich das Leben zur Hölle zu machen. Es murmelt in den Kirchenbänken. Und als Martens sagt, dass in der christlichen Ehe Sex Spaß machen soll, raunt der Dolmetscher: "Soll ich das wirklich übersetzen?"

18 Uhr, das Ende des Unterrichts. Viele gehen noch nicht heim, spielen Kicker im neonbeleuchteten Keller der Kirche, hocken an Stahlrohrtischen, schlürfen Tee. Oder sie stellen sich in die Schlange vor die Tür zum Büro des Pfarrers. Es gibt so viele Fragen, Sorgen, Klagen. Und statt eines Zuhauses wartet die Flüchtlingsunterkunft, in der die Zeit amorph wird wie ausgekauter Kaugummi. Und vor allem für die Iraner, die sich hier auf die Taufe vorbereiten, bedeutet es noch etwas anderes: Ausgrenzung, Mobbing, bis hin zur Gewalt.

Wer konvertiert, gilt vielen Muslimen im Heim als Verräter. "Wenn ich kochen will, sagen sie, dass Ungläubige nicht die Küche benutzen dürfen", erzählt Simin, mit 60 Jahren eine der wenigen älteren Frauen. Und wenn sie wäscht, wird die Maschine abgestellt. Frank, 29, berichtet von Beschimpfungen, als Mitbewohner das Kreuz entdeckten, das er um den Hals trägt. Und dass nichts geschah, als er den Sicherheitsdienst um Hilfe bat. "Die sind selber meist Muslime und wollen es sich mit der Mehrheit nicht verderben", sagt er.

Mission

"Wir sind da zurückhaltend", heißt es bei den evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern, wenn man fragt, ob sie unter den Flüchtlingen fürs Christentum werben. In vielen Gemeinden würden Flüchtlinge getauft, ein Massenphänomen sei es aber nicht. Es gebe Berichte von Aggression gegenüber Konvertiten, heißt es in Kirchenkreisen, eine Umfrage unter den Einrichtungen der evangelischen Diakonie aber zeige, dass dies kein flächendeckendes Problem sei.

Matthias Drobinski

"Hier saßen schon Jungs mit dicken Muskeln, die haben nur noch geweint", sagt Martens in seinem kahlen Büro. Er will öffentlich machen, was seinen Taufbewerbern widerfährt. Dass er dadurch im Netz zur Ikone der Islamfeinde geworden ist, stört ihn: "Ich bin auf der Seite von Bundeskanzlerin Merkel", sagt er. Klar helfe er auch Muslimen. Er könne aber nicht das Gehörte verschweigen. Am 12. Februar, da seien sechs Christen, darunter drei Taufbewerber aus der Gemeinde, im Flughafen Tempelhof von Mitbewohnern bedrängt worden - am Ende hätten sich "50 bis hundert Muslime" auf sie gestürzt, ohne dass der Wachschutz ihnen geholfen hätte. Erst die herbeigerufene Polizei hätte die Christen vor der Gewalt bewahren können. Die Konsequenz: Die Christen wurden aufgefordert, den Hangar zu verlassen - nun schlafen sie im Keller der Kirche. Offiziell hieß es, der Streit sei ums Essen gegangen.

Martens hat den Vorfall im Gemeindeblatt und auf Facebook veröffentlicht. Er hat sich an Volker Kauder gewandt, den Chef der Unionsfraktion, er hat die Taufbewerber gebeten, alle Vorfälle aufzuschreiben. Zieht einen Stapel Papier hervor, "das muss jetzt alles übersetzt werden", sagt er. Mittlerweile ist er dafür, dass die Christen zu Gruppen zusammengelegt werden. Neulich sagte ihm ein Mann: "Ich will zurück nach Iran, da werde ich weniger diskriminiert als in Berlin." Der Mann habe in seinem Heimatland im Gefängnis gesessen, weil er konvertiert war.

Einen Moment lang wirkt Martens müde, seit sieben Stunden redet er und hört zu, ohne Pause. Im April wird er 50 Bewerber taufen, den Rest im Mai oder Juni. Dass jetzt die Balkanroute dicht ist, empfindet Martens als Niederlage Europas, aber sie verschafft auch ihm eine Atempause. Er könnte endlich sein Farsi verbessern, die Sprache seiner neuen Gemeinde. Das Vaterunser kann er schon auswendig.

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