Süddeutsche Zeitung

Berlin:Verdunklungsgefahr

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Vermieter lassen ihre Häuser immer häufiger mit Werbebannern einhüllen. Das bringt ihnen viel Geld, den Bewohnern raubt es das Tageslicht. In einem besonders krassen Fall haben sich die Mieter nun erfolgreich gewehrt.

Von Jan Heidtmann, Berlin

"Impossible is nothing", nichts ist unmöglich, lautete der Slogan, der unlängst an einer Berliner Hausfassade prangte. Die Werbung eines Herstellers von Sportartikeln beschreibt recht zutreffend, wie es in der Hauptstadt auf dem Wohnungsmarkt zugeht. Manch einem Mieter droht derzeit massive Verdunklungsgefahr. Denn immer häufiger vergeben Hausbesitzer bei großflächigen Renovierungen die Baugerüste als Werbeträger. Das bringt den Eigentümern zusätzliches Geld, den Mietern aber raubt es das Tageslicht.

Ein besonders krasser Fall dieser Spielart der Hausbesetzung trug sich gerade im Berliner Stadtteil Neukölln zu. Anfang November wurde ein Mietshaus am Hermannplatz komplett eingerüstet und mit Werbebannern nahezu blickdicht verhüllt. Die Bewohner wurden offenbar weder vorher darüber informiert, noch fanden tatsächlich nennenswerte Bauarbeiten statt. Im Innern war tagsüber kaum etwas zu sehen, nach Einbruch der Dunkelheit strahlten dafür Großscheinwerfer die Plakate an. Das "Horrorhaus vom Hermannplatz" nannte ein Mieter seine Bleibe in der Berliner Zeitung.

An dem Haus ist eine Entwicklung auf die Spitze getrieben, die die Stadt seit einigen Jahren beschäftigt. In Berlin-Mitte wurde Bewohnern von einem französischen Modelabel die Sicht genommen, im Bezirk Charlottenburg von einem Ölkonzern; auf der gut besuchten Kantstraße leben die Mieter inzwischen seit zwölf Monaten hinter Riesenplakaten. Zulässig sind nach der Berliner Bauordnung maximal sechs Monate.

Genehmigt werden die Banner von den Bezirken, die gegen den Missbrauch weitgehend machtlos zu sein scheinen. "Wir gehen dann umgehend dagegen vor", meint Fabian Schmitz-Grethlein (SPD), Bezirksstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. "Allerdings ist die Gerüstwerbung so lukrativ, dass sie stehen gelassen wird." Nach Schätzungen bezahlen PR-Agenturen für Werbung in guten Lagen fünfstellige Beträge im Monat. Bußgelder von 25 000 Euro würden oft von den Amtsgerichten wieder reduziert und seien von den Hausbesitzern "eingepreist", so Schmitz-Grethlein. Auch mögliche Mietminderungen sind einkalkuliert.

Die Parlamentarier in dem Bezirk wollen deshalb nun den Berliner Senat dazu bringen, die Bauordnung zu ändern. Großflächige Banner vor Wohnhäusern sollen so leichter verboten werden können und die Bußgelder erhöht. Eine andere Möglichkeit für die Betroffenen ist, eine Gegenkampagne zu starten. Zwei große Konzerne haben ihre Plakate in der Vergangenheit daraufhin bereits abhängen lassen. Denn anscheinend wissen die Firmen oft nicht, wo Agenturen Werbeplätze anmieten.

Auch in Neukölln, beim sogenannten Horrorhaus, haben die Bewohner ihren Ärger umgehend in der Presse und auf den sozialen Medien publik gemacht. Da das Plakat nicht genehmigt war, wurde zudem sofort mit einem Bußgeld gedroht; im Zweifelsfall wollte der Bezirk die Werbung selbst entfernen lassen. Wenige Tage danach war das Banner verschwunden. "Dadurch wird dieses Geschäftsmodell einfach zerschlagen", sagt Moheb Shafaqyar, Bezirksverordneter der Linken und Jurist. Sein Schluss im Umgang mit renitenten Vermietern ist deshalb im Fall der Werbeplakate recht einfach: "Da muss man etwas rabiater rangehen."

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