An diesem Abend gibt es kein zusätzliches Feuer. Natürlich haben sie Fahnen dabei. Aber keine hat gebrannt. Die Demonstranten schwenken auf dem Washingtonplatz palästinensische Flaggen und rufen ihre Forderungen heiser in die kalte Nacht. Seit US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, kommt es in Berlin zu pro-palästinensischen Protesten. Am Freitag vor der US-Botschaft, am Sonntag in Neukölln - und jetzt unweit vom Hauptbahnhof. Das Polizeiaufgebot ist groß, vergangene Woche hatte es Festnahmen nach Körperverletzung, Flaschenwürfen und brennenden Fahnen mit Davidstern gegeben. Man war alarmiert und wollte vorbereitet sein.
Die Proteste aber verlaufen ohne weitere Vorkommnisse. Die Stimmung ist dennoch angespannt. "Was gerade passiert, raubt uns unsere Identität", sagt der Veranstalter Ahmad Muhaisen vom palästinensisch-arabischen Verein Berlin. "Wir leiden unter der jahrelangen Unterdrückung und haben keine Lust, weitere 100 Jahre zu leiden. Die Entscheidung Trumps wird gravierende Folgen haben." Während Muhaisen spricht, starten im Hintergrund die ersten Sprechchöre. Es sind Frauen und Männer aller Altersstufen, die auf Deutsch, Englisch oder Arabisch rufen: "Hoch die internationale Solidarität", "Be free Palestina" und "Intifada bis zum Sieg".
Unter den mehreren Hundert Teilnehmern sind Gemäßigte und weniger Gemäßigte anzutreffen. Alle wollen zeigen: Palästina ist da. "Wer ist Trump, dass er so eine Entscheidung trifft? Jerusalem ist keine Immobilie, das ist eine heilige Stadt", sagt Mamun Aboalkhair. Tag für Tag will er friedlich protestieren, bis sich etwas tut.
Ein junger Mann schlägt vor einem Kamerateam einen anderen Ton an: "Wir wollen keinen Krieg, aber wenn diese Entscheidung bleibt, greifen wir zu den Waffen, dann geht es nicht anders." Andere Regierungen müssten Trump stoppen, heißt es immer wieder. Jerusalem sei die Hauptstadt von Palästina und werde es immer bleiben. Israel müsse lernen, mit den Palästinensern zusammen zu leben.
Vor dem Brandenburger Tor feiert die jüdische Gemeinde Chanukka
"Ich habe Familie in Tel Aviv, die leben friedlich mit Juden zusammen. Aber inzwischen ist das Ohnmachtsgefühl so stark", sagt Karim Ahmad. "Das macht alles die Politik kaputt. Das ist doch verrückt." Inzwischen hat Muhaisen wieder das Megafon. "Herr Trump", sagt er, "Sie haben sich geirrt, dass unser Volk Ihre Entscheidung einfach so hinnehmen würde." Jubel bricht aus. Und wieder Sprechchöre.
"Was spricht denn gegen eine Zweistaatenlösung mit gleichen Rechten für alle? Das ist die einzige Chance auf Frieden", sagt Abdul-Hadi Abdelfata. "Aber Trump hat Palästina mit seinem Beschluss den Krieg erklärt." Die Weltgemeinschaft habe gut reagiert, aber es müsse noch mehr passieren. Ein anderer Mann sagt: "Ich glaube nicht mehr an Frieden und Verhandlungen. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass wir dadurch in Frieden leben können. Was die USA getan haben, war der größte Fehler, den man machen kann."
Eigentlich hätten auch diese Proteste wieder vor der US-Botschaft stattfinden sollen. Doch weil nur wenige Meter entfernt vor dem Brandenburger Tor die jüdische Gemeinde Chanukka feiert und Konfrontationen verhindert werden sollten, wurden sie verlegt. "Vor ein paar Tagen ist es hier zu furchtbaren Ereignissen gekommen", sagt Rabbiner Teichtal. Dabei wollten doch alle eine offene Gesellschaft.
Berlins Bürgermeister Michael Müller und Justizminister Heiko Maas verurteilen die antisemitischen und antiisraelischen Ereignisse der vergangenen Tage in Berlin. "Wir sind stolz darauf, dass das Brandenburger Tor gleich von Chanukka erleuchtet wird", sagt Müller. "Das ist ein starkes Zeichen, dass das jüdische Leben hier fest verankert ist." Vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor ist es nicht weit. Aber von den pro-palästinensischen Demonstranten sind keine gekommen.