Süddeutsche Zeitung

Regierungsbildung Berlin:Berliner SPD stimmt für Koalitionsverhandlungen mit der CDU

Ein Bündnis von Sozialdemokraten und CDU wird in der Hauptstadt immer wahrscheinlicher. Der SPD-Vorstand äußert sich nun deutlich - die Christdemokraten wollen am Donnerstag über Gespräche entscheiden.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Frank Stauss, 58, kennt sich aus in der Welt der Sozialdemokraten. Der Politikwissenschaftler war maßgeblich an Wahlkampagnen für die Genossen Gerhard Schröder, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier beteiligt. In Berlin hat er für die Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Michael Müller gearbeitet. Auf die Landes-SPD ließ er bislang nichts wirklich Übles kommen. Bis zu diesem Mittwoch.

"Sollte die SPD nun geradezu anbiedernd ihr Heil in den Armen der CDU suchen, machte sie sich in dieser Stadt endgültig überflüssig", schreibt Stauss auf seinem Blog. Es sei ein "strategisch völlig falscher Schritt" auf Basis einer völlig falschen Analyse. Der Blogeintrag des Wahlkampfberaters ist nur eine Äußerung unter vielen harschen Kommentaren zum vorerst letzten Manöver der SPD nach der Wiederholungswahl am 12. Februar.

Am Dienstagabend sickerte allmählich ein Plan durch, der am Mittwochmorgen dann auch in Hintergrundgesprächen von Sozialdemokraten bestätigt wurde: Nach dem desaströsen Wahlergebnis von 18,4 Prozent der Stimmen will die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey auf ihr Amt verzichten. Die Partei soll sich stattdessen den siegreichen Christdemokraten als Juniorpartner andienen.

Am Abend dann tagte der Landesvorstand der Berliner SPD und bestätigte das Vorhaben ihrer Chefs. 25 Mitglieder des Gremiums stimmten für, zwölf gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der CDU. "Ich habe mich dafür entschieden, meinen Beitrag dafür zu leisten, auch wenn das den Verlust meines Amtes bedeutet", sagte eine sichtlich angefasste Franziska Giffey. "Ich mache das für Berlin. Ich mache das für die SPD." Bereits in den Stunden davor hatten sich die Meldungen verdichtet, dass auch die CDU mit der SPD will.

Dass die SPD das Bündnis mit Grünen und Linken beerdigt, hat viele überrascht

Die Nachricht, dass die SPD damit zugleich die Möglichkeit eines Bündnisses mit den Grünen und der Linken beerdigte, hat viele überrascht. Während die CDU mit offiziellen Kommentaren zur Sache bis zum Donnerstagnachmittag warten wollte, platzte es aus Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, geradezu heraus. Die SPD habe sich nicht an die Absprachen gehalten, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. "Montag sind wir mit der Verabredung auseinandergegangen, dass wir am Mittwoch unsere rot-grün-roten Gespräche gemeinsam bewerten und abschließen." Die Sondierungen zur Fortführung des Linksbündnisses seien eigentlich auf einem guten Weg gewesen. "Unüberbrückbare Differenzen gab es keine", sagt Jarasch.

Der größte Brocken zwischen den drei Parteien ist die Frage nach der Enteignung großer Wohnungsunternehmen. In einem Volksentscheid hatten fast 60 Prozent derjenigen, die teilgenommen hatten, dafür gestimmt. Das ist ein gewichtiges Votum für jeden Senat und das wichtigste Projekt der Linken. Giffey hatte sich immer wieder gegen Enteignungen ausgesprochen, zuletzt direkt nach der Wahl. Doch als die Delegationen der drei Parteien am vergangenen Montag nach ihrem letzten Sondierungsgespräch vor die Tür der Berliner SPD-Parteizentrale traten, versicherten alle Beteiligten, man habe einen "gangbaren Weg" gefunden.

In der SPD gibt es Widerstand gegen eine Koalition mit der CDU

So war es auch kein Wunder, dass die Linke harsch auf die An- und Aufkündigung der sozialdemokratischen Führung reagierte. Der Stadt drohe "ein sozialer wie gesellschaftlicher Rollback", so die Landesvorsitzende Katina Schubert. Im Hintergrund wehrten sich Politiker der Linken gegen das Narrativ, mit dem die SPD nun versucht, ihren Sinneswandel zu begründen: Demnach seien die Grünen in den gemeinsamen Verhandlungen äußerst fordernd aufgetreten. "Das ist echter Bullshit", heißt es bei der Linken.

Das viel größere Problem für die SPD zeichnet sich aber in der eigenen Partei ab. Denn über den Koalitionsvertrag sollen später auch die Parteimitglieder abstimmen. Bereits am Mittwoch sammelte sich der Widerstand gegen die Empfehlung der Sondierungsdelegation unter Führung von Giffey und SPD-Co-Landeschef Raed Saleh. "Wir werden uns jeder Bestrebung, eine Koalition mit der CDU zu bilden, entgegenstellen", sagte Sinem Taşan-Funke, die Co-Vorsitzende der Berliner Jusos der dpa. "Die CDU passt nicht zu Berlin und nicht zur SPD. Wer gegen migrantisierte Gruppen hetzt, gegen bezahlbaren Wohnraum ist und die Verkehrswende belächelt, disqualifiziert sich als Koalitionspartner für die Sozialdemokratie."

Der frühere Sprecher der Parteilinken in der SPD, Mark Rackles, ging in den sozialen Medien noch einen Schritt weiter und stellte Franziska Giffey selbst in Frage. Rackles warnte seine Partei vor einer "Verzwergung" als Juniorpartner der CDU. "Langsam sollte sich die SPD Berlin von den persönlichen Befindlichkeiten von Giffey lösen." Bei den SPD-Linken steht die Regierende Bürgermeisterin von jeher unter Konservatismusverdacht. Für die CDU wird das eher kein Problem sein.

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