Süddeutsche Zeitung

Berlin-Wahl:AfD leicht enttäuscht und doch zufrieden

Man habe sich ein zweistelliges Ergebnis gewünscht, gibt Parteichef Chrupalla zu. Dennoch ist das nur kleine Plus eine Trendwende - und vor allem einem Thema zuzuschreiben.

Von Roland Preuß, Berlin

Natürlich zeigt sich Tino Chrupalla zufrieden an diesem Montagvormittag. Kurz nach elf Uhr betritt der AfD-Parteichef einen Nebenraum der Bundespressekonferenz in Berlin, offensiv schmunzelnd. Neben ihm, deutlich gefasster, die Berliner AfD-Spitzenkandidatin Kristin Brinker. Man habe "wieder eine Landtagswahl mit Gewinnen abgeschlossen", sagt Chrupalla und blickt in die Runde. Die Kernthemen der AfD, Kriminalitätsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit und Inflationsbekämpfung, hätten "beim Wähler verfangen", sagt Brinker. Tatsächlich kann die AfD neben der CDU als einzige der Parteien, die im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten sind, einen höheren Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl 2021 verbuchen - ein Plus von 1,1 Prozentpunkten.

Es gibt aber auch eine andere Lesart des Ergebnisses: Trotz der jüngsten Aufregerthemen, welche die AfD für ihren Wahlkampf nutzte, legte sie lediglich leicht zu auf 9,1 Prozent. Zu nennen sind hier vor allem die rot-grün-rote Verkehrspolitik, die auf eine Beschränkung des Autoverkehrs setzt, und die Krawalle der Silvesternacht, die insbesondere jungen Männern aus Migrantenfamilien angelastet werden. "Die Silvesternacht hat Berlin erschüttert", sagt Brinker der Süddeutschen Zeitung. In einem Wahlkampfspot ist sie vor einem ausgebrannten Bus zu sehen, der in der Silvesternacht in Berlin-Neukölln angesteckt wurde. Im Vergleich zur vorletzten Berlin-Wahl von 2016 hat die AfD dennoch 5,1 Prozentpunkte verloren. Auch Chrupalla gesteht ein: Man habe sich ein zweistelliges Ergebnis gewünscht.

Der springende Punkt war die Kriminalität

Tatsächlich konnte die AfD laut der Analyse der Forschungsgruppe Wahlen mit dem Thema Kriminalitätsbekämpfung punkten, hier sprachen ihr die Wählerinnen und Wähler deutlich mehr Kompetenz zu als Grünen und Linken - und fast so viel wie der SPD. Mit Abstand am meisten Erfolg verbuchen konnte damit allerdings die CDU, sie hatte im Wahlkampf mit Plakaten wie "Ganz Berlin braucht die Polizei. Niemand diesen Senat" stark auf das Thema gesetzt. Die Christdemokraten und ihr Spitzenkandidat Kai Wegner haben damit offenbar viele Wähler aufgesammelt, darunter auch von rechts. Laut Infratest Dimap wählten 12 000 frühere AfD-Wähler diesmal die CDU.

Die gute Laune von Parteichef Chrupalla erklärt sich aber auch aus der Trendwende, der sich mit der Berlin-Wahl abzeichnet. Seit Anfang 2020 hatte die teilweise rechtsextreme Partei bei Landtagswahlen nur Verluste hinnehmen müssen, auch bei der Bundestagswahl büßte sie Stimmen ein. Die AfD hatte vor allem mit Finanzaffären und internen Streitereien von sich reden gemacht. Der Abgang und Austritt des umstrittenen Parteichefs Jörg Meuthen Anfang 2022 änderte an dem Abwärtstrend nichts, er gilt vielmehr als weiterer Schritt der Radikalisierung. Erst im vergangenen Oktober konnte die Partei in Niedersachsen wieder einen Zugewinn verzeichnen - und nun auch in Berlin, das als eher schwieriges Pflaster für die AfD gilt. Chrupalla dürfte sich damit in seinem Kurs bestätigt sehen.

Die AfD hat in Berlin mehr Arbeiter überzeugt als die Linke

Laut Forschungsgruppe Wahlen fand die AfD in Berlin starken Zuspruch unter Arbeitern, hier holt sie mit 18 Prozent einen deutlich höheren Stimmenanteil als etwa die Linke mit lediglich zehn Prozent. Und bei den Selbständigen sammelt sie mehr Stimmen ein als die FDP. Während Chrupalla die CDU am Montag eher umgarnt und CDU-Landeschef Wegner artig zum Wahlsieg gratuliert, hat der AfD-Chef die FDP als Lieblingsgegner aus dem bürgerlichen Lager identifiziert. "Diese FDP braucht in diesem Land niemand", ruft er.

Dennoch ist nicht absehbar, dass die AfD die FDP als quasi natürlicher Partner der CDU ersetzten könnte. Die Christdemokraten wollen mit den Rechten nicht zusammenarbeiten. "Ich bin offen für Gespräche mit der CDU", sagt zwar AfD-Landeschefin Brinker. Man habe nun dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl. "Wir warten ab, was sich tut." Dass sich beim Umgang mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen etwas bewegt, ist aber nicht zu erwarten. "Ich kann keine rechtsextremen Positionen sehen", sagt Chrupalla. Der AfD-Chef erkennt trotz der Radikalisierung der Partei keinen Handlungsbedarf.

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