Berlin:Wahlkampf für Juri und Gül

Berlin: Wahlplakate in Berlin für die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus.

Wahlplakate in Berlin für die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus.

(Foto: IMAGO/IMAGO/Political-Moments)

Vornamen spielten vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus eine große Rolle. Tatsächlich haben 37 Prozent der Berlinerinnen und Berliner einen Migrationshintergrund. Wie wollen die Parteien die Wähler unter ihnen erreichen?

Von Miriam Dahlinger, Berlin

Zu Anfang des Jahres wurde in Berlin eine Gruppe von potenziellen Wählern unfreiwillig selbst zum Wahlkampfthema: Deutsche mit Migrationshintergrund. Denn nachdem sich herausgestellt hatte, dass ein Teil der Randalierer aus der Silvesternacht eben nicht ausländische Staatsbürger waren, wollte die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus die Vornamen der Tatverdächtigen wissen.

Für viele Berliner mit Zuwanderungsgeschichte wirkte die parlamentarische Anfrage der Christdemokraten wie ein pauschaler Angriff in ihre Richtung. Und sie sind viele: Mehr als 37 Prozent der Bevölkerung in Berlin hat einen Migrationshintergrund, davon sind etwas weniger als die Hälfte deutsche Staatsbürger.

Wie genau Menschen mit Migrationshintergrund wählen, ist wissenschaftlich kaum untersucht. Studien aus dem Jahr 2017 zeigten aber Unterschiede in den beiden größten Einwanderergruppen: Während Russlanddeutsche in der Mehrheit konservativ abstimmten, gab nur etwa ein Viertel der Menschen mit türkischen Wurzeln ihre Stimme den Mitte-rechts-Parteien CDU/CSU, FDP und AfD. Und noch eine wichtige Erkenntnis haben Wahlforscher gewonnen: Wahlberechtigte mit Zuwanderungsgeschichte beteiligen sich im Schnitt nicht so zahlreich an Wahlen wie andere. Hier sind also Stimmen zu gewinnen.

Im deutsch-türkischen Radio treten fast alle Spitzenkandidaten auf

Kai Wegner, Spitzenkandidat der CDU, steht also einige Tage vor der Wahl in der Turnhalle der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof-Schöneberg. Mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler dort haben Zuwanderungsgeschichte. Dass Wegner die Jugendlichen nun bei den Liegestützen unterbricht, scheint sie wenig davon zu überzeugen, künftig CDU zu wählen. "Türkiye, Türkiye", rufen zwei. Wegner lächelt gequält, betont später aber, dass die CDU die Vielfalt der Stadt nicht in Frage stellen wolle: "Wir sind eine vielfältige Metropole. Und das muss auch so bleiben", sagt er, "aber es muss Regeln geben, die für alle gelten." Mit dieser Botschaft will er auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte erreichen.

Erst vor ein paar Tagen hat Wegner dem deutsch-türkischen Radiosender Metropol FM ein Interview gegeben. Am Freitag will dort auch Franziska Giffey ihr letztes Interview vor dem Wahlsonntag geben. Die Regierende Bürgermeisterin hatte in der Debatte um die Silvesterkrawalle schnell eine Integrationsbotschaft verkündet: "Das sind doch fast alles Berliner Kinder, die sind hier geboren und aufgewachsen."

Flugblätter auf Russisch, Plakate auf Türkisch

Ihre SPD verteilte im Wahlkampf darum auch Flugblätter in englischer, türkischer und russischer Sprache. Und während die Grünen versuchten, auf ihren Wahlplakaten die diverse Gesellschaft der Stadt abzubilden, hängte die Linke etwa 2000 Wahlplakate in verschiedenen Sprachen an Laternenmasten - in Marzahn-Hellersdorf auf Polnisch und Russisch, in Neukölln auf Arabisch und Türkisch.

Eigene Treffen ihrer Spitzenkandidaten mit migrantischen Gruppen organisierten die Berliner Parteien jedoch kaum. In der Woche vor der Wahl hatten lediglich die Grünen eine "migrantische Gewerbetour" geplant, diese aber für einen Besuch ihrer Spitzenfrau Bettina Jarasch im ARD-"Mittagsmagazin" abgesagt. Unter Parteistrategen aller Lager herrscht insoweit Konsens: Migrantische Wählergruppen lassen sich über einen eigens auf sie zugeschnitten Wahlkampf eher nicht animieren. Inhalte sind wichtiger.

Und so versucht etwa die Linke, mit der Forderung nach Enteignung von Wohnungsunternehmen, Menschen mit ausländischen Namen zu gewinnen, die auf dem Mietmarkt oft benachteiligt sind. Die SPD beobachtet währenddessen ein gesteigertes Interesse für Bildungsthemen. Die Liberalen hofften, mit einer autofreundlichen Verkehrspolitik leistungsorientierte Männer mit türkischem Background zu erreichen.

Währenddessen warb die CDU nach der Silvesternacht auf Plakaten mit dem Spruch: "Was Kriminelle bald häufiger hören: Haftbefehl". Eine Anspielung auf den Offenbacher Rapper Aykut Anhan, der unter diesem Namen auftritt. Unklar bleibt, ob die Stammklientel der CDU diesen Wink verstand - und ob Menschen mit Migrationshintergrund sich nicht eher provoziert fühlten.

744 915 von ihnen, also etwa 23 Prozent der volljährigen Berlinerinnen und Berliner, werden ohnehin nicht wählen - weil sie nicht dürfen. Sie haben keinen deutschen Pass.

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