Berlin:Voller Hubraum

Die Polizei weiß nicht mehr, wohin mit all den beschlagnahmten Raser-Autos.

Von Jan Heidtmann

Einen Teil ihrer größten Schätze verwahrt die Berliner Polizei mitten im Herzen der Hauptstadt. Im Bezirk Schöneberg, auf dem Platz hinter einem ausgebeulten Maschendrahtzaun, stehen zwar nur ein paar alte VW Golf und Ford Fiesta herum. Ein paar Meter weiter, in der backsteinernen Halle, aber ruhen die wahren Werte: Bentleys oder ordentlich aufgetunte Jaguar E-Types, die in knappen Sekunden auf Tempo 200 beschleunigen. Zwei solcher Hochsicherheitsparkplätze für beschlagnahmte Fahrzeuge unterhält die Polizei in Berlin, Raum für gut 550 Autos. Das genügt in normalen Zeiten.

Doch seit ein paar Wochen wissen die Beamten nicht mehr, wohin mit dem Hubraum. Grund sind die Corona-gesteuerten Raser: "Im April haben wir einen signifikanten Anstieg festzustellen", erklärt der Berliner Oberamtsanwalt Andreas Winkelmann.

98 Verfahren hat die Berliner Amts- und Staatsanwaltschaft für den vergangenen Monat auf dem Tisch, doppelt so viele wie sonst. Rein statistisch sind das mehr als drei Rasereien pro Tag. Ein Grund seien die durch Corona fast ausgestorbenen Straßen, meint Winkelmann - "im Stau kann man kein Rennen fahren". Andere Erklärungen sind eher spekulativ: Zur Überwachung der Beschränkungen ist schlicht mehr Polizei auf den Straßen. Und so manch einer hat mit einer Rennfahrt vielleicht auch seinen Koller durch die Kontaktsperre bewältigt.

Für die Ermittler sind die Autos ein wichtiges Beweismittel. Rasen ist im Unterschied zum reinen Zu-schnell-Fahren eine Straftat. Dafür muss jedoch nicht nur die hohe Geschwindigkeit belegt werden, sondern auch die Rücksichtslosigkeit des Fahrers. Zum Beispiel durch dauerhaftes Rasen oder kräftiges Beschleunigen. Doch die Untersuchungen sind zäh. Bei moderneren Fahrzeugen müssen mithilfe der Autohersteller die digitalen Aufzeichnungen ausgelesen werden. Oft gibt es aber nicht einmal Fingerabdrücke oder DNA-Spuren.

Die Fälle von Raserei nehmen in Berlin seit Jahren massiv zu, allein zwischen 2018 und 2019 sind sie um 30 Prozent auf fast 1000 gestiegen. Mehrere Unbeteiligte wurden dabei schon schwer verletzt oder gar getötet. Manöver wie der "Donut", bei dem ein Fahrer den Wagen mit durchdrehenden Reifen einmal um sich selbst dreht, lassen sich auf größeren Plätzen immer mal wieder beobachten. Zu den beliebten Rennstrecken in Berlin gehören breite Straßen wie der Kurfürstendamm oder die Frankfurter Allee. VW Golf GTI, BMW M5 oder Mercedes AMG C63 sind dafür die Wagen der Wahl.

Besonders kompliziert macht die Ermittlungen, dass dabei nur selten das eigene Auto eingesetzt wird. Kann ein Raser dann nicht direkt gestellt werden, lässt sich im Nachhinein kaum beweisen, wer der Fahrer war. "Der Löwenanteil sind Mietfahrzeuge und Car-Sharing-Wagen", sagt Winkelmann. "Die reizen sie dann aus bis zum Gehtnichtmehr."

Deshalb wirkt auch nicht, was sich der Jurist als ein probates Mittel gegen die Raser ausgedacht hatte: die Wagen beschlagnahmen und versteigern. In den vergangenen zwei Jahren gelang das gerade einmal bei drei Fahrzeugen.

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