60 Quadratmeter in einer der heruntergerocktesten Ecken von Neukölln: 1999 Euro. 56 Quadratmeter an der ebenfalls nicht gerade idyllischen Potsdamer Straße: 1300 Euro. 67 Quadratmeter am Verkehrsknotenpunkt Alexanderplatz: 2200 Euro - bei allen Beträgen handelt es sich um Kaltmieten. Berliner Wohnaktivisten mussten in den vergangenen Wochen auf ihren Social-Media-Kanälen nur ganz normale Immobilienanzeigen posten, um ihren Punkt zu machen: Auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt läuft einiges aus dem Ruder.
Der jüngsten Auswertung des Maklerportals Homeday zufolge, das die Wohnungspreise deutscher Städte verglich und ins Verhältnis zu den jeweiligen Einkommen setzte, befinden sich von den zehn am wenigsten erschwinglichen Stadtteilen sieben in Berlin (sowie zwei in München und einer in Hamburg.) Einer der Gründe: Ein Teil der Berliner Wohnungen gehört großen Immobilienkonzernen, die renditeorientiert wirtschaften. Wenn es nach dem Volksentscheid geht, über den am Sonntag in Berlin abgestimmt wurde, sollen die Bestände von privaten Immobiliengesellschaften, die in der Hauptstadt mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden. Die 240 000 Wohnungen, die unter anderem Unternehmen wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius gehören, sollen dann von der öffentlichen Hand verwaltet und die Firmen dafür entschädigt werden.
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Nach Auszählung aller Wahlbezirke war am Montagmorgen klar: Eine Mehrheit stimmte mit "Ja", 56,4 Prozent der Wahlberechtigten sprachen sich für eine Vergesellschaftung aus. Mit "Nein" stimmten 39 Prozent, teilte die Landeswahlleitung mit.
Unklar ist jedoch, was daraus folgt
Dem Volksentscheid liegt kein konkreter Gesetzesentwurf zugrunde, der Berliner Senat wird nur "aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind".
Ob solche Maßnahmen überhaupt rechtens sein können - darüber ist bereits eine Gutachterschlacht entbrannt. Im August 2019 kam der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses zu dem Schluss, dass eine Vergesellschaftung nicht unverhältnismäßig sei und auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Dagegen legte der Berliner Verwaltungsrechtler Ulrich Battis ein Gutachten vor, demzufolge die vorgeschlagene Enteignung ein unverhältnismäßiger Eingriff in privates Eigentum sei und sowohl verfassungs- als auch europarechtlich problematisch. Auch die Wohnungsbaugenossenschaften, die nicht gewinnorientiert arbeiten, warnten vor einer Mehrheit für den Volksentscheid: Sie fürchten, dass sie aus rechtlichen Gründen ebenfalls von der Vergesellschaftung betroffen sein könnten. Und da ist noch das Preisschild, das auf dem Vorhaben klebt: Mindestens zehn Milliarden Euro Entschädigungen müssten den Firmen gezahlt werden. Andere Schätzungen gehen von bis zu 30 Milliarden Euro aus.
Bundestagswahl:SPD gewinnt vor Union, Linke unter fünf Prozent
Alle 299 Wahlkreise sind jetzt ausgezählt. Demnach ist die SPD stärkste Kraft. Die Linke kann über drei Direktmandate als Gruppe doch noch in den Bundestag einziehen. Die Berliner stimmen für die Enteignung großer Wohnungskonzerne.
Die Lust der Parteien, den Volksentscheid umzusetzen, hält sich dementsprechend in Grenzen. CDU und FDP haben sich klar dagegen ausgesprochen, SPD-Landeschefin Franziska Giffey kündigte zwar an, man werde "respektvoll und verantwortungsvoll" mit einer Mehrheit umgehen, sie ließ aber in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran, dass Enteignungen mit ihr nicht zu machen seien. Die Grünen sind zwiegespalten, Spitzenkandidatin Bettina Jarasch sagte zwar, dass sie persönlich für Ja stimmen werde, die Grünen haben aber nicht dezidiert für das Projekt geworben. Sie fordern einen Mieterschutzschirm, eine Selbstverpflichtung für Wohnungsbesitzer, Mieten für fünf Jahre einzufrieren und sich dem Gemeinwohl zu verpflichten, eine Art Fair-Trade-Label für Vermieter gewissermaßen.
Offensiv für die Enteignung geworben hat nur die Linke, die in Berlin bei Wohnungsthemen ohnehin den radikalsten Ansatz vertritt - sie hat schon den Mietendeckel in Berlin durchgesetzt, der später vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Ob dem Volksentscheid ein ähnliches Schicksal bevorsteht, wird sich zeigen. Sicher ist jedenfalls, dass es sich nicht um die letzte radikale Idee in der Berliner Wohnungspolitik handeln wird.