Berlin und Schwerin:Der neue Sexyness-Faktor

Coronavirus - Beratung der Landesregierung

Bundesweit war Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) bisher nicht aufgefallen. Das hat sich nun geändert.

(Foto: Jens Büttner/picture alliance/dpa)

Warum der Vorschlag, die Masken fallen zu lassen, in der großen Koalition auf ziemlich breite Ablehnung stößt.

Von Boris Herrmann, Angelika Slavik

Es ist nicht so, dass Deutschlands Bürger in der Pandemie untätig wären, im Gegenteil. Viele entrümpeln und renovieren, manche versuchen abzunehmen - nur fürs Einkaufen können sich die Menschen wenig begeistern. Die Lust auf Konsum über das absolut Lebensnotwendige hinaus ist auch nach der Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen nicht so recht wiedergekommen. Das beklagen die Einzelhändler, das beklagen die Gastronomen. Die Umsätze bleiben weit unter jenen aus der Zeit vor der Pandemie. Ist daran die Maskenpflicht schuld? Weil sie dem Einkaufen den Charakter der leichten Zerstreuung genommen und es stattdessen wahnsinnig anstrengend gemacht hat?

Viele Wirtschaftsvertreter glauben das - und vor allem in den nördlichen Bundesländern auch so mancher Politiker. Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) dachte am Wochenende als Erster laut darüber nach, dass man die Masken doch eigentlich nicht mehr brauche, wenn das Infektionsgeschehen so niedrig bleibe wie derzeit. Er wolle mit den anderen norddeutschen Bundesländern über eine Regelung zur Abschaffung sprechen, kündigte er an. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erinnerte daraufhin öffentlich daran, dass die Maskenpflicht in Mecklenburg-Vorpommern bis August verlängert wurde, schließlich biete "der Schnutenpulli" wichtigen Schutz - Glawe habe aber den Auftrag, in Abstimmung mit Kommunen und Medizinern Vorschläge zu erarbeiten.

Am Montagabend teilte Regierungssprecher Andreas Timm mit, dass die Maskenpflicht in Mecklenburg-Vorpommern vorerst wie geplant verlängert wird.

Killt die Maske den Konsum? Oder killt die Aufhebung der Maskenpflicht die Menschen?

Die Signale aus Hamburg und Schleswig-Holstein zu Glawes Idee einer norddeutschen Anti-Masken-Allianz fielen skeptisch aus. In Niedersachsen dagegen fand auch der dortige Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) zunächst, dass man doch auf eine freiwillige Regelung umsteigen könne - bevor er, eingefangen vom SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil, zurückruderte. Aber nach dem Sommer könne man darüber beraten. Bei der Arbeitgebervereinigung AGV in Hannover will man die Maskenpflicht lieber früher als später fallen sehen. Die Maske sei "ein Konsumkiller", findet der Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt.

Im Raum steht also die Frage: Killt die Maske den Konsum? Oder killt die Aufhebung der Maskenpflicht die Menschen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sie bislang nicht direkt beantwortet, aber sie ließ am Montag unzweideutig ausrichten, dass sie eine Abschaffung der Maskenpflicht strikt ablehnt. "Überall dort, wo im öffentlichen Leben der Mindestabstand nicht gewährleistet sein kann, sind Masken ein wichtiges und aus heutiger Sicht auch weiter unverzichtbares Mittel", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. In Bussen, in U-Bahnen sowie im Einzelhandel soll sie Pflicht bleiben.

An einigen Stränden an der Ostsee war es so voll wie in normalen Zeiten nur auf Mallorca

Mit besonderer Sorge blicken die Kanzlerin und ihre Kabinettsmitglieder auf die gerade beginnende Sommerferienzeit, in der die Mobilität in Deutschland wieder stark ansteigen dürfte. Seibert sagte, diese "neue Mobilität" sei zu begrüßen, "sie macht unser Leben leichter, sie macht unser Leben schöner". Ohne dass er es explizit ausgesprochen hätte, klang da aber noch der Halbsatz mit: Sie macht unser Leben auch wieder gefährlicher. Die neue Mobilität muss deshalb nach dem Willen Merkels einhergehen mit der Beachtung jener Regeln, "die uns bisher in den vergangenen Monaten im Kampf gegen diese Pandemie so gut gedient haben". Also: Abstand, Hygiene, Maskenpflicht. Über ihren Regierungssprecher schickte die Kanzlerin auch noch einen nicht allzu verklausulierten Gruß in ihre Heimat Mecklenburg-Vorpommern: "Auch Regionen, die womöglich jetzt sehr geringe Fallzahlen hatten, bekommen nun Zulauf aus anderen Teilen des Landes." Einige Strände an der Ostsee waren bereits in der vergangenen Woche so voll wie in normalen Zeiten nur die Handtuch-Ballungsgebiete auf Mallorca .

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wählte dagegen eine andere Strategie als Seibert, um die Maskendisziplin in Deutschland hochzuhalten. Er argumentierte weniger pflicht- als genussgesteuert. "Maskentragen ist sexy", sagte er am Montag in Berlin. Wer auf andere Rücksicht nehme, wer auf Sicherheit Wert lege, "der verhält sich vernünftig, der verhält sich sexy", so sieht es Ziemiak. Und da der Generalsekretär diese Sichtweise im Anschluss an die Sitzungen des Präsidiums und des Bundesvorstands der CDU vortrug, kann man davon ausgehen, dass die Maskenpflicht-Sexyness jetzt Parteikonsens ist. Man staunt neuerdings immer wieder, zu welch fortschrittlichem Gedankengut die Union sich befähigt hat. Aber auch die SPD hat ihre Ablehnung einer Maskenpflichtabschaffung in eine Parole gegossen, die wohl noch einige Male zitiert werden wird. Parteichef Norbert Walter-Borjans sprach bei Bild Live von einer "zumutbaren Zumutung".

Die Koalition gibt sich Mühe, als Pro-Masken-Front aufzutreten. Im CDU-Präsidium seien sich alle einig, dass es "keinen Grund gibt, davon abzuweichen", sagte Ziemiak. Die brandenburgische CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig hat trotzdem einen Grund gefunden. "Der Wegfall der Maskenpflicht würde das Einkaufen in Brandenburg ein Stück wieder attraktiver machen", sagte die Wirtschaftspolitikerin.

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