Süddeutsche Zeitung

Berlin und der Iran-Deal:Zwischen Angst, Hoffnung und heimlichem Zorn

Die Bundesregierung will das Abkommen gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien retten. Doch sie ahnt: Die Folgen des US-Ausstiegs sind gravierend. Und dann twittert auch noch Trumps neuer Botschafter in Berlin.

Von Stefan Braun, Berlin

So ruhig, gelassen und kühl sich die Bundesregierung auch gibt - unter der Oberfläche brodelt der Ärger über die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump. Am Mittwoch zeigt sich das nicht in einem großen Zornesausbruch, sondern in einer kleinen Geste.

Für ein paar Minuten ist Heiko Maas, der deutsche Außenminister, vor die Kameras getreten. Er spricht viel über Besonnenheit und die Notwendigkeit, einen kühlen Kopf zu bewahren. Mit ruhiger Stimme verteidigt er das Nuklearabkommen mit Iran, aus dem die USA nun aussteigen, und erklärt entschieden, dass Deutschland der Vereinbarung verpflichtet bleibe.

Doch dann, nach seinem kurzen Auftritt, wird Maas gefragt, was er vom Tweet des neuen US-Botschafters in Berlin halte. Maas schweigt, seine Gesichtszüge werden hart, er wendet sich halb ab und wirft dann doch noch ein Wort in den Raum: "Nichts."

Mit tausend Worten hätte der deutsche Außenminister seinen Widerwillen über den neuen Statthalter Donald Trumps nicht deutlicher machen können. Die Kündigung des Nuklearabkommens ist aus Sicht von Maas schon ärgerlich und gefährlich genug. Und dann schafft es Trumps neuer Botschafter Richard Grenell, die Stimmung noch einmal zu vergiften.

Grenell hatte erst am Dienstagnachmittag in Berlin offiziell seinen Dienst angetreten - und erklärte schon wenige Stunden später via Twitter, nach Trumps Iran-Beschluss sollten sich deutsche Unternehmen ganz schnell aus dem Land zurückziehen.

Angesichts dieser Chuzpe des Neuankömmlings dürfte Wolfgang Ischinger, lange Zeit deutscher Botschafter in den USA, vielen in Berlin aus dem Herzen gesprochen haben, als er Grenells Getwittere mit dem Hinweis kommentierte, ein Botschafter solle grundsätzlich darauf verzichten, seinem Gastland Ratschläge zu geben. Jedenfalls dann, wenn er großen Ärger vermeiden wolle. Das war nicht elegant. Aber es war deutlich.

Nimmt man den Trump-Beschluss und die Begleitmusik aus seiner Truppe zusammen, dann überrascht es niemanden, dass in Berlin der Zorn auf Amerikas neueste Wendung groß ist. Da hat auch die Tatsache, dass der Beschluss nicht mehr überraschend kam, wenig geholfen.

Dass Trumps Entscheidung nicht mehr aus dem Nichts kam, betonte Maas am Mittwoch ausdrücklich. So hatten sich die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands bereits am Dienstag getroffen, um eine gemeinsame Reaktion vorzubereiten. Darüber hinaus hatten hochrangige Diplomaten der drei Länder ebenfalls schon am Dienstagnachmittag in Brüssel mit einem Vertreter Irans zusammen gesessen, um allseits für eine besonnene Reaktion zu werben.

Ärgerlich aber und aus Sicht der Bundesregierung unverständlich bleibt die Tatsache, dass Washington sich in den vergangenen Wochen trotz zahlreicher Gesprächskontakte nicht erklärt hat. Ein Diplomat fasste es am Mittwoch so zusammen: "Es gab viele Begegnungen, wir haben viel gesprochen. Aber echte Begründungen für diesen Schritt hat es nicht an einer Stelle gegeben."

Und so bleibt der Berliner Regierung nur das, was man in solchen Situationen schon mal "Kaffeesatzleserei" nennt. Sie muss spekulieren und einzelne Puzzle-Steine interpretieren, wenn es darum geht, welches Motiv Trump wirklich haben könnte.

Ist es tatsächlich das Ziel, in Teheran einen Machtwechsel zu provozieren - wie hinter vorgehaltener Hand längst viele spekulieren? Oder ist es die schlichtere Version der Trump'schen Außenpolitik, halt mal ordentlich zu provozieren und Druck aufzubauen, um hinterher zu sehen, was rauskommt? Leider, so heißt es in Berlin am Mittwoch, wisse man es nicht, deshalb bliebe hinter all dem fürs Erste nur ein großes Fragezeichen.

Dabei ist eines für die Europäer klar: Iran hat bislang nicht gegen das Abkommen verstoßen. Auf diesen Punkt legt auch Maas großen Wert. Am Mittwoch erklärte er, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) habe mehrfach und gerade eben erst wieder bestätigt, dass sie keinen Verstoß erkennen könne. Aus diesem Grund sei und bleibe der Beschluss "nicht nachvollziehbar", sagte Maas. Und fügte hinzu, was später auch Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte: "Wir bleiben dem Abkommen verpflichtet."

Aus den Fraktionen kam einhellig scharfe Kritik an den Amerikanern. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte, Trump riskiere mit seinem Schritt einen Bruch transatlantischen Bündnisses. Der Außenpolitik-Experte der Grünen, Omid Noiuripour, warnte vor einem dramatischen Wettrüsten im Nahen Osten. "Man kann jetzt schon sehen, wie andere Staaten in der Region auch eine Bombe haben wollen", so der Grünen-Politiker. "Das heißt, dass die sowieso schlimme Lage im Nahen Osten jetzt nuklearisiert wird. Das ist schlicht dramatisch." Nouripour hob darüber hinaus hervor, dass die Europäer nun zu einem absurden Verhalten gezwungen würden. Trump habe eine Situation geschaffen, "in der wir proaktiv versuchen müssen, amerikanische Politik zu unterwandern". Das sei eine "dramatische Situation" und eine "Riesenbelastung" für die transatlantischen Beziehungen, so Nouripour im Radio Berlin-Brandeburg.

Die Vorsitzenden der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, nannten Trumps Entscheidung "brandgefährlich". Damit sei das Abkommen aus ihrer Sicht "faktisch gescheitert". Gleichwohl sollten die EU-Staaten zusammen mit Russland und China alles versuchen, um Druck auf Trump auszuüben und das Abkommen so doch noch zu retten.

Zwei Gründe vor allem sind es, die dazu führen, dass die Reaktionen von Regierung und Opposition so ähnlich klingen.

Zum einen fürchten Berliner Politiker, dass der einsame amerikanische Schritt die Lage im Nahen Osten nicht sicherer, sondern deutlich unsicherer machen werde. Maas warnte entsprechend vor einer unkontrollierten Zuspitzung in der Region und "einer Spirale der nuklearen Aufrüstung" im Nahen Osten. Gerade die Kontroll- und Transparenzregeln des Abkommens hätten genau das bisher verhindert. Umso wichtiger sei es, sie jetzt nicht aufzugeben, sondern zu retten.

Hinzu kommt eine zweite Angst, auf die bisher in Berlin niemand eine Antwort weiß, aber die viele in der Regierung schon jetzt sehr sehr ernst nehmen: Es geht um die Frage, welche Folgen die US-Entscheidung für deutsche Unternehmen haben wird. Und wie gefährlich für sie die US-Drohung werden kann, alle zu bestrafen, die ihre Geschäfte in Iran nicht aufgeben.

Auf beide Fragen gibt es bislang keine verlässliche Antwort; beide Aspekte sollen erst einmal umfassend geprüft werden. Und das bedeutet: Es ist fürs Erste ebenso unklar, was man Iran zusichern kann, um das Abkommen zu erhalten.

Wie sagte es Maas: Alle Seiten sollten weiterhin besonnen handeln und kühlen Kopf bewahren. Gerichtet war das an die iranische Seite. Aber gemeint sein dürften auch alle, die um die Chancen der deutschen Wirtschaft fürchten. Sehr schnell haben deren Vertreter am Mittwoch Alarm geschlagen.

DIHK-Präsident Eric Schweitzer erklärte, es sei nicht nachvollziehbar, dass unter einem einsamen amerikanischen Beschluss nun auch deutsche Unternehmen leiden sollten. Und der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann, betonte, Trumps einseitiger Schritt erzeuge "erhebliche Unsicherheiten".

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