Silvester in Berlin„Herrschaft über die Straßen und Plätze“

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Fast alle Jahre wieder, zuletzt 2022/23: Randale in der Silvesternacht in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln.
Fast alle Jahre wieder, zuletzt 2022/23: Randale in der Silvesternacht in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln. (Foto: Christian Mang/SZ)

Mindestens 3000 Polizisten und 1500 Rettungskräfte werden den Jahreswechsel in Berlin absichern. Der Großeinsatz solle die Hoheit über die Stadt gewährleisten, sagt die CDU. Die Grünen sprechen von einem „eingezäunten Hochsicherheitstrakt“.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Der Brief, den die Polizei gleich in sieben Sprachen noch kurz vor Weihnachten an den Schulen der Stadt verteilte, ist eigentlich eine Ansammlung von Selbstverständlichkeiten. „Liebe Eltern“, heißt es da,  „Angriffe auf Einsatzkräfte sind eine Straftat“. Oder: „Gas- und Schreckschusswaffen können Verletzungen hervorrufen, sie gehören nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen.“ Aber Silvester steht vor der Tür, und da ist man in der Hauptstadt einiges gewohnt.

Den Jahreswechsel werden in diesem Jahr mindestens 3000 Beamte sichern. Etwa 1500 weitere Einsatzkräfte von Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk werden sie dabei nach Auskunft der Polizei unterstützen. In einigen Gegenden der Stadt wie dem Alexanderplatz oder der Sonnenallee im Bezirk Neukölln wird das Böllern zum Jahreswechsel komplett verboten sein; Polizeibeamte dürfen dort Passanten zudem ohne konkreten Verdacht auf das Tragen von Messern kontrollieren.

Vor zwei Jahren machte die Randale bundesweit Schlagzeilen

„Im vergangenen Jahr haben wir die Herrschaft über die Straßen und Plätze wieder zurückgewonnen“, sagt Burkard Dregger, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Und auch diesmal gelte: „Wir haben uns akribisch vorbereitet“. So warnen Beamte seit diesem Samstag, an dem der Verkauf von Feuerwerkskörpern begonnen hat, polizeibekannte Personen durch „Gefährderansprachen“ vor. Burkhard Dregger plädiert außerdem dafür, „auffällig gewordene“ Personen in Präventivgewahrsam zu nehmen, also vorab einzusperren.

Das rigorose Vorgehen der Sicherheitsbehörden ist eine Reaktion auf den Jahreswechsel 2022/23. Vor zwei Jahren kam es in Berlin zu Ausschreitungen, bei denen Jugendliche Feuerwehrkräfte und Sanitäter gezielt angriffen, mit Eisenstangen und Knallkörpern; in Neukölln brannte ein geparkter Reisebus komplett aus. Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel erklärte im Rückblick, dass die reine Anzahl der Attacken auf Polizei und Feuerwehr an diesem Silvester zwar kaum höher gewesen sei als 2018 oder 2019, also vor der Corona-Pandemie. Allerdings seien die Angriffe wesentlich heftiger gewesen: „Etwa wenn Rettungskräfte in mutmaßliche Hinterhalte gelockt und angegriffen wurden.“

Die Silvesterrandale machte bundesweit Schlagzeilen, auch, weil sie das Bild von der dysfunktionalen Hauptstadt unter Führung eines Senats aus SPD, Grünen und Linken offenbar verstärkte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von der Chaos-Stadt, CDU-Chef Friedrich Merz meinte, „die Chaoten, viele davon mit Migrationshintergrund, fordern mit ihrer Randale den Staat heraus, den sie verachten. Und das Land Berlin wird mit der Lage nicht fertig.“

Die Ausschreitungen wurden zum dominanten Thema im Berliner Wahlkampf. Auch die Landes-CDU stellte dabei primär den Migrationshintergrund einiger der Randalierer in den Vordergrund – unter anderem mit der Forderung, die Vornamen der Festgenommenen öffentlich zu machen. Im darauffolgenden Februar gewann die CDU die Wahl zum Abgeordnetenhaus und regiert die Stadt seitdem zusammen mit der SPD.

Besonderer Schutz für jüdische Einrichtungen

Schon zum nächsten Silvester kündigte Berlins neuer Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eine „Nacht der Repression“ an. Den Jahreswechsel 2023/24 sicherten etwa 4000 Polizisten, größere Ausschreitungen blieben aus. Der CDU-Innenpolitiker Dregger führt dies nicht nur auf die schiere Zahl an Polizeikräften zurück. „Wir treten unseren Beamten nicht in die Knie. Das führt dazu, dass die Polizei wieder Mut hat, durchzugreifen“, so Dregger. „Und wenn es mal wieder eine Debatte über Polizeigewalt gibt, stehen wir hinter ihnen.“

Der Einsatz zum vergangenen Silvester gilt auch als Blaupause für dieses Jahr. Dazu gehört, jüdische und israelische Einrichtungen besonders zu schützen. Die Sorge, antisemitische Aktivisten könnten versuchen, Silvester für ihre Agenda zu nutzen, bestehe weiterhin, heißt es bei der Polizei. Im vergangenen Jahr hatte die Stadt eine Demonstration für Palästina, die zwischen 22 Uhr nachts und ein Uhr morgens in Neukölln stattfinden sollte, verboten. Auch in diesem Jahr ist ein gleichnamiger Umzug mit dem Titel „No new year celebration during genocide“, also „Keine Neujahrsfeier während des Völkermords“ angemeldet, allerdings bereits für den Nachmittag des 31. Dezember.

Vasili Franco, Innenpolitikexperte der Grünen in Berlin, meint, dass „ein friedliches Silvester nicht allein mit dem Einsatz von Polizei und Feuerwehr“ zu erreichen sei. Deshalb habe der rot-grüne-rote Senat nach den Randalen 2022/23 bereits einen Jugendgipfel ins Leben gerufen, bei dem Millionenhilfen für Jugendprojekte vereinbart wurden. Mindestens zehn bis 20 Millionen Euro davon habe die nun schwarz-rote Stadtregierung wegen des klammen Haushalts gestrichen.

Das massive Polizeiaufgebot zum Jahreswechsel sei außerdem „an vielen Stellen Symbolpolitik“, sagt Franco. Das gelte zum Beispiel bei den Messerverbotszonen. Diese zu überwachen, binde viele Polizeikräfte. Ähnlich verhalte es sich mit den punktuellen Böllerverboten. Die sorgten zwar vor Ort für Ruhe, dafür sehe die Sonnenallee, eine dieser Zonen, aus wie ein „eingezäunter Hochsicherheitstrakt“. Und direkt daneben werde kräftig gezündelt.

Franco plädiert deshalb dafür, nur ein zentrales Feuerwerk zu veranstalten, so wie auch in anderen Städten. „Ich möchte den Menschen nicht den Spaß verderben. Aber der Einsatz von Sprengstoff ist nicht ohne Grund an 364 Tagen im Jahr verboten.“ Mit seiner Forderung steht Franco längst nicht allein. Sowohl die Gewerkschaft der Polizei als auch die Feuerwehr in Berlin sind für ein Verbot. „Wir könnten auf das viele Böllern gerne verzichten“, sagte Feuerwehrsprecher Vinzenz Kasch im ZDF-Morgenmagazin.

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