FinanzpaketWarum 100 Milliarden Euro den Städten nicht reichen

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Sebastian Kopp, stellvertretender Bürgermeister von Bad Liebenzell, steht im Kurpark seiner hoch verschuldeten Stadt.
Sebastian Kopp, stellvertretender Bürgermeister von Bad Liebenzell, steht im Kurpark seiner hoch verschuldeten Stadt. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Die zwölfstellige Summe sollen Länder und Kommunen aus dem Infrastrukturfonds des Bundes erhalten. Doch in den Staatskanzleien und Rathäusern knallen keine Sektkorken, es herrscht vielmehr Skepsis: Was kommt unten überhaupt an?

Von Roland Muschel, Bad Liebenzell, Stuttgart

Die goldenen Jahre für Kurorte liegen lange zurück. Aber Bad Liebenzell hat immer noch viel zu bieten, eine Therme, den Kurpark, die Burg Liebenzell. Auf dem Burgberg grasen sogar Ziegen, das freut die Touristen und spart der Stadt das Mähen. Nun müsste der Zaun für die Ziegen erneuert werden. Und da beginnen die Probleme, die Sebastian Kopp derzeit umtreiben. Kopp ist eigentlich Bestatter, aber im Ehrenamt auch der Stellvertreter des erkrankten Bürgermeisters der 9500-Einwohner-Stadt im Nordschwarzwald. Vor drei Wochen hat er eine Haushaltssperre erlassen. In diesem Jahr wird Bad Liebenzell 6,4 Millionen Euro Verlust machen. Dabei ist es bereits die Kommune mit der höchsten Verschuldung pro Kopf in Baden-Württemberg. „Wir fangen jetzt erst mal nichts Neues mehr an“, sagt Kopp im Amtszimmer des Bürgermeisters. Das Verdikt trifft auch den Ziegenzaun.

Dabei gäbe es in Bad Liebenzell gerade viel zu tun: Die Brücken im Ort müssten saniert werden, das Feuerwehrhaus braucht neue Türen. Außerdem würde die Kommune gerne ihr Gewerbegebiet erweitern, um die Gewerbesteuereinnahmen zu erhöhen. Die Nachfrage nach Flächen ist durchaus da. Aber der Gemeinde fehlt das Geld für die Investitionen. „Wir können die Stadt gar nicht in Ruhe entwickeln. Wir löschen nur noch Brände. Das macht auch mürbe“, sagt Kopp.

Viel verspricht sich der Lokalpolitiker nicht davon

Deshalb hat der stellvertretende Bürgermeister zunächst aufgehorcht, als er von dem Infrastrukturfonds hörte, den der Bundestag im März beschlossen hat: 500 Milliarden Euro. Ein Fünftel davon soll an Länder und Kommunen gehen. Ein hübscher Betrag, da könnte man eigentlich annehmen, dass in den Staatskanzleien und Rathäusern im Land die Sektkorken knallen. Doch Sebastian Kopp kann nur Wasser anbieten und eine gehörige Portion Skepsis. „100 Milliarden Euro, das klingt erst mal toll. Aber ich verspreche mir davon nicht viel. Was kommt davon denn bitte bei uns an?“

Diese Frage stellen sie sich gerade nicht nur in Bad Liebenzell. Selbst stolze Städte wie Tübingen oder Baden-Baden bekommen in diesen Tagen von ihren Aufsichtsbehörden das unschöne Testat, dass ihre Haushalte nicht genehmigungsfähig seien und sie noch viel stärker sparen müssten. Entsprechend groß sind zumindest bei den Kommunalverbänden die Hoffnungen, die auf dem 500-Milliarden-Euro-Paket ruhen.

Dabei ist noch gar nicht ausgehandelt, welchen Anteil am Berliner Kuchen das Land an die Kommunen durchreicht. 100 Prozent, wie von kommunaler Seit bereits gefordert, werden es eher nicht sein, so viel lässt sich sicher sagen. Die Länder haben ihre eigenen Finanzprobleme. Und dann ist da noch die Frage, wofür die Städte und Gemeinden das Geld überhaupt ausgeben. Tatsächlich für neue Projekte? Oder zum Stopfen der Löcher, zu Verringerung der neuen Schulden? Das wäre natürlich nicht unbedingt im Sinne des Bundes, der mit dem riesigen Schuldenpaket ja die Wirtschaft ankurbeln will. Aber soll Sebastian Kopp den Bürgern in Bad Liebenzell erklären, dass man nun mit Berliner Hilfe, sagen wir, eine tolle neue Solaranlage aufs Rathausdach schraubt, während für den Ziegenzaun das Geld fehlt?

Der Bund gibt, der Bund nimmt

Die finanzpolitische Zeitenwende trifft Baden-Württemberg, Heimat der schwäbischen Hausfrau, mental vielleicht noch härter als andere. Denn die schwarze Null war hier eine besonders große Nummer, als Chiffre für ausgeglichene Haushalte, für die Schuldenbremse, die lange der Fixpunkt deutscher Finanzpolitik war. In Stuttgart ließen sie aus Holz eine mannshohe Null anfertigen und schwarz anmalen. Der damalige Finanzminister Nils Schmid von der SPD stellte sich mit der hölzernen Null 2014 auf den Hof vor seinem Ministerium für ein fast schon ikonografisches Foto.

2014 posierte Baden-Württembergs damaliger Finanzminister Nils Schmid (SPD) noch stolz neben einer schwarzen Null. Heute steht die Holzskulptur in einem Lagerraum.
2014 posierte Baden-Württembergs damaliger Finanzminister Nils Schmid (SPD) noch stolz neben einer schwarzen Null. Heute steht die Holzskulptur in einem Lagerraum. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Wer wissen will, wie es heute um das Ansehen der schwarzen Null steht, der muss gar nicht erst nach Berlin schauen, auf die riesigen Schuldenpakete. Man kann einfach nach Stuttgart gehen, ins Finanzministerium, mit dem Aufzug hoch bis unters Dach, einen schmalen Gang entlang bis zum Lagerraum C. Dort fristet die mannshohe Null, mit der Nils Schmid posierte, nun neben Geschenkattrappen ein maximal unspektakuläres Dasein.

Zwei Stockwerke weiter unten sitzt Danyal Bayaz in seinem Ministerbüro und blickt mit gemischten Gefühlen auf die neue Lage. „Für mich war die schwarze Null nie ein Fetisch, ich habe immer für eine zielgerichtete Reform der Schuldenbremse plädiert“, sagt der Grünen-Politiker, der das Stuttgarter Finanzressort seit 2021 leitet. „Aber bei den Summen, um die es jetzt geht, habe ich schon ein mulmiges Gefühl, weil unklar ist, wofür sie am Ende genutzt werden.“

Baden-Württembergs heutiger Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne)  hat bei solchen Milliardensummen „schon ein mulmiges Gefühl“.
Baden-Württembergs heutiger Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne)  hat bei solchen Milliardensummen „schon ein mulmiges Gefühl“. (Foto: Marijan Murat/dpa)

100 Milliarden Euro, das sei zunächst eine gewaltige Summe. Aber sie relativere sich dann sehr schnell, wenn man sie über zwölf Jahre und alle Länder und Kommunen verteile. Und dann gebe es ja noch jede Menge offener Fragen: Nach welchem Schlüssel wird das Geld verteilt? Nach Finanzkraft, nach Einwohnerzahl, nach Bruttoinlandsprodukt, dem Königsteiner Schlüssel? Und: zu welchen Bedingungen? Das ist alles noch nicht geklärt, deshalb wird es auf das Kleingedruckte ankommen, die Ausführungsbestimmungen des Bundes. Aber Bayaz wäre nicht Finanzminister, hätte er nicht schon alles durchrechnen lassen. Je nach Schlüssel könnten das Land Baden-Württemberg und seine Kommunen pro Jahr insgesamt 1,1 Milliarden Euro aus dem Infrastrukturfonds erhalten.

Das ist eine immer noch ganz ansehnliche Summe, wären da nicht die Steuererleichterungen, die im Berliner Koalitionsvertrag stehen. „Allein die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie und die Erhöhung der Pendlerpauschale würden das Land und seine Kommunen strukturell etwa 400 Millionen Euro pro Jahr kosten“, sagt Bayaz. Mittelfristig will der Bund zudem die Unternehmen entlasten, das hätte ebenfalls Rückwirkungen auf die Einnahmen von Ländern und Kommunen.

Der Bund gibt, der Bund nimmt aber auch wieder. Das ist die Kehrseite. Und was er gibt, gibt er wohl nicht einfach so, ohne Auflagen. In der Grundgesetzänderung heißt es, die Länder haben Bericht zu leisten über die Verwendung der Mittel. „Mein Wunsch an den Bund wäre: Macht es nicht zu kompliziert, vertraut den Entscheidern vor Ort“, sagt Bayaz. Insgesamt aber fragt er sich, ob das mit den bisherigen, langwierigen Verfahren überhaupt funktionieren kann, wenn Bund, Länder und Kommunen binnen zwölf Jahren 500 Milliarden Euro zusätzlich in Infrastruktur investieren wollen. Er ist da eher skeptisch. „Ich sehe die große Gefahr, dass wir das gar nicht so schnell umsetzen können und die Firmen die Preise treiben. Am Ende geben wir vielleicht viel mehr Geld aus, bekommen dafür aber gar nicht mehr.“

Bei aller Skepsis, die Mittel schlagen sie natürlich nicht aus, in Stuttgart, in Bad Liebenzell. Aber dass die Berliner Schulden-Bonanza allein alle Probleme lösen kann, das glauben sie hier nicht. Sie fordern auch Reformen. Kopp sieht eine Chance in einer engeren Zusammenarbeit der Kommunen, in Synergieeffekten, der Einsparung von Verwaltungsebenen. Bayaz sagt, dass mit dem Infrastrukturpaket eine große und mutige Reformagenda verbunden sein müsste, Rente, Pflege, Bürokratie, Arbeitsmarkt, Steuerpolitik, Entlastung der Kommunen: „Da gibt es überall viel zu tun.“

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