Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Müller schadet der Berliner SPD

Der Regierende Bürgermeister will im Westen der Stadt für den Bundestag kandidieren - ohne Rücksicht auf Sawsan Chebli, die dort ebenfalls Ambitionen hat. Ihre politische Karriere könnte bald jäh enden.

Kommentar von Jan Heidtmann, Berlin

Es gab in Berlin sicherlich inspiriertere Bürgermeister als Michael Müller. Aber immerhin ist es ihm gelungen, seine komplizierte Koalition aus SPD, Linken und Grünen seit 2016 zusammenzuhalten. Das Bündnis hat die Stadt zum Guten verändert, während der Corona-Pandemie ging es geschlossen und pragmatisch vor. Das war auch Müllers Verdienst, er hätte einen guten Ausstieg im Herbst 2021 verdient. Dann wird ein neues Abgeordnetenhaus gewählt.

Doch in der Politik ist schon der Aufstieg eine Herausforderung, der Abgang aber umso mehr - jedenfalls in Würde und ohne allzu viel Schaden anzurichten. Müllers Abgang sieht derzeit nicht wirklich würdig aus. Und er schadet der Berliner SPD.

Denn das sogenannte Narrativ am Ende dieser Geschichte wird voraussichtlich so gehen: zwei Männer gewinnen, eine talentierte Frau verliert. Hinterzimmerpolitik triumphiert über Engagement. Der eine Mann ist der ehrgeizige Juso-Chef Kevin Kühnert, er war schlau genug, seine Kandidatur für den Bundestag frühzeitig bekannt zu geben. Der andere Mann ist Michael Müller, der etwas selbstverliebt zu lange gewartet hat. Deshalb musste er den Platz für Kühnert räumen und sich einen anderen Wahlkreis für seine Bundestagsbewerbung suchen. Er entschied sich für einen Bezirk im Westen der Stadt, ohne Rücksicht darauf, dass sich dort seine Staatssekretärin Sawsan Chebli um ein Mandat bewerben wollte.

Es entspricht ihrem Naturell, dass Chebli, 42, nun trotzdem antritt. Die Tochter einer Flüchtlingsfamilie aus Palästina hat sich ihre Karriere in der Politik immer erkämpfen müssen. Chebli wird auf sozialen Medien wie Twitter regelmäßig mit Hassbotschaften überzogen und lässt sich trotzdem nicht beirren. Als Staatssekretärin setzt sie sich couragiert für Bürgerrechte und gegen Rassismus ein. Cheblis politische Karriere könnte bald jäh enden - damit der Regierende Bürgermeister einen recht unwürdigen Abgang bekommt.

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