"Chefinnensache", das klingt erst einmal gut. Zupackend. Wichtig. Nach Prio Nummer 1. Und so war es auch nur richtig, dass Franziska Giffey (SPD) die Frage nach bezahlbaren Wohnungen im Wahlkampf um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin genau dazu auserkoren hatte: zu ihrer "Chefinnensache". Kein anderes Problem beschäftigt die Berliner mehr. Nun hat die inzwischen gewählte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen Vorschlag zur Sache gemacht. Er stößt auf breite Ablehnung.
Niemand solle mehr als 30 Prozent seines Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen, so die Idee der Senatschefin. Die Zeitung Welt hat am Montag in den Bundestagsfraktionen Reaktionen dazu eingeholt. Die FDP spricht von einem "Bürokratiemonster", das so entstehen würde, die CDU erkennt ein "politisch überschaubares Ablenkungsmanöver". Selbst in der SPD-Fraktion wird der Vorstoß der Genossin kritisch gesehen. Die Idee, die Mieten auf 30 Prozent des Einkommens zu begrenzen, sei zwar im Prinzip richtig, sagte der wohnungspolitische Sprecher Bernhard Daldrup. Die rechtliche Umsetzung aber mindestens eine "Herausforderung".
Es war das Ende einer Woche des Ungemachs in der Chefinnensache. Bereits am vergangenen Mittwoch hatte Bausenator Andreas Geisel (SPD) einräumen müssen, dass Berlin kaum 20 000 Wohnungen im Jahr wird bauen können. Es ist jedoch das zentrale Ziel, das die regierende Koalition aus SPD, Grünen und der Linken ausgegeben hatte, um den explodierenden Mieten in der Stadt beizukommen. Der Krieg in der Ukraine und die Inflation haben aber die Preise für manche Baustoffe stark steigen lassen; Lieferketten wie die für Stahlbeton sind längst nicht mehr reißfest. "Die Situation ist im Moment zu volatil, um seriös zu sagen, wann wir erstmals 20 000 Wohnungen im Jahr erreichen", sagte Geisel.
Gescheitert ist offenbar auch die Idee eines freiwilligen Mietmoratoriums im Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen. Giffey hatte dieses Gremium nach dem Vorbild Hamburgs ins Leben gerufen, um die Akteure auf dem Immobilienmarkt wieder an einen Tisch zu bringen. Unter der Vorgängerregierung war die Zusammenarbeit mit den privaten Unternehmen erheblich gestört; dazu hatte auch der Mietendeckel, ein zeitlich begrenzter Mietenstopp, beigetragen. Die Regelung wurde schließlich vom Bundesverfassungsgericht verworfen. Am 20. Juni soll das neue Bündnis nun erste Ergebnisse vorlegen. Da sich aber vor allem die Vertreter der privaten Immobilienwirtschaft kaum kompromissbereit zeigen, wird wirklich Greifbares kaum mehr erwartet.
Die Wähler stimmten für die Enteignung großer Wohnbaukonzerne
Stattdessen melden sich die Koalitionspartner im rot-grün-roten Senat mit eigenen Vorschlägen. Giffeys Stellvertreterin von den Grünen, Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, preschte mit der Forderung vor, die Mieten für fünf Jahre festzuschreiben. Die Linke wiederum will, dass der Anteil von Sozialwohnungen beim Neubau auf 60 statt bisher 30 Prozent festgeschrieben wird. Über allem aber schwebt die Frage, ob große Wohnungsbauunternehmen in Berlin gegen Entschädigung enteignet werden sollen oder nicht. Bei einem Volksentscheid haben 56,4 Prozent der Wähler dafür gestimmt. Eine Kommission unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) soll bis zum nächsten Frühjahr prüfen, ob das rechtlich überhaupt machbar wäre.
Zugleich steigt der Bedarf an Wohnraum und damit die Miete weiter rasant. Frei beziehbare Wohnungen in der Innenstadt liegen inzwischen durchgehend bei rund 13 Euro pro Quadratmeter - wenn es überhaupt welche gibt. Der Leerstand beträgt gerade einmal 0,9 Prozent, und neben den Zuzüglern aus dem Rest der Republik suchen nun auch Zehntausende Geflüchtete aus der Ukraine, die in der Stadt bleiben wollen, nach Unterkunft.
Jeder zweite Berliner hätte Anspruch auf eine Sozialwohnung
Vor diesem Hintergrund findet es Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, kaum überraschend, dass die Regierende Bürgermeisterin nun etwas ins Straucheln gerät. Bei der Idee, das Wohnungsproblem allein durch Neubau und eine bessere Kooperation zu lösen, "ist sehr viel Optimismus dabei gewesen". Eines der spezifischen Grundprobleme in der Stadt sei von jeher der soziale Wohnungsbau.
In Berlin haben 54 Prozent der Menschen potenziell Anspruch auf eine Sozialwohnung. Doch weit über drei Viertel der Sozialwohnungen würden von kommunalen Wohnungsunternehmen gebaut, meint Wild, der auch im neuen Bündnis für Wohnungsbau sitzt. Der Grund dafür sei einfach: "Für die private Wohnungswirtschaft stimmen die Gewinnerwartungen des sozialen Wohnungsbaus nicht." Dabei hätten die Privaten gerade in den vergangenen Jahren in Berlin enorm gut verdient.