Berlin:Kreuzberger Mächte im Wahlkampf

People visit a market in Berlin's Kreuzberg district

Touris und Türken, Hipster und Drogendealer: Friedrichshain-Kreuzberg ist multikulturell und szenig - aber keineswegs eine urbane Idylle.

(Foto: REUTERS)
  • Der Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg gilt als Problemzone: Drogenhandel, Müll, Kriminalität.
  • Nun haben Anwohner und die Stadt einen Masterplan entwickelt: Das Konzept ist sehr liberal und setzt auf Dialog statt hartes Durchgreifen.
  • Mitverantwortlich für das Konzept ist die grüne Bezirksbürgermeisterin Herrmann. Für Konservative ist sie ein rotes Tuch.

Von Jens Schneider, Berlin

Wenn in diesen letzten Sommertagen die Sonne über dem Görlitzer Park aufsteigt, hat er etwas von einer Idylle nach Kreuzberger Art. Entspannt liegen junge Leute auf dem Rasen, Kinder spielen, Touristen spazieren hindurch. An einigen Eingängen warten junge Afrikaner auf Kundschaft. Wer einen Moment stehen bleibt und schaut, wird angesprochen, flüsternd. Es gibt Cannabis zu kaufen, kompliziert wirkt der Handel nicht.

Spätestens am Abend muss man schon ein raues Gemüt haben, um überhaupt noch eine Idylle zu sehen. Es gibt Warnungen, besser nicht allein durch den Park zu gehen. Im "Görli" gab es schlimme Überfälle. Das hat ihn zu einer Berühmtheit gemacht.

Vor mehr als einem Jahr erklärte Berlins Innensenator Frank Henkel von der CDU dem Drogenhandel auf dem Platz den Kampf. Für Dealer sollte es keine Toleranz mehr geben. Mit großem Aufwand durchkämmte die Polizei den Park, nahm einige Dealer fest. Sobald die Beamten sich zurückzogen, waren sie wieder da. "Hätten die Razzien etwas genützt, dann wäre es ja gut", sagt die Bürgermeisterin Monika Herrmann, "aber es funktioniert ja nicht."

Nun gibt es seit einigen Wochen einen Masterplan für den Park, wie ihn nur die Kreuzberger ausdenken können. Wenn es danach geht, soll niemand vertrieben werden, nicht die Roma-Familien, die oft hier campieren, die Stadtstreicher und auch die Dealer nicht. Es soll ein Parkmanager angestellt werden, dazu Parkläufer geben, die bis in die Nachtstunden Konflikte regeln könnten. Dealern will man Hilfe anbieten, damit sie Jobs finden. Ein Kreis von Anwohnern hat den Plan mit Initiativen und dem Bezirk entwickelt, darin steht, dass der Görli "der Rowdy unter den Berliner Parks bleiben wird, ob wir es wollen oder nicht".

Der Görli werde der "Rowdy" unter den Parks bleiben, steht im Konzept

Kurt Wansner braucht wenige Sekunden, um in die Luft zu gehen, wenn er nach der Bürgermeisterin gefragt wird. "Ich halte sie für eine Katastrophe für diesen Bezirk", schimpft er, "sie hat Kreuzberg nie verstanden. Sie macht es kaputt." Er ist hier in der Görlitzer Straße geboren. Schlimm findet er das Konzept für den Park. Drogendealer dürfe man nicht einbinden. Seine Partei mache die Bürgermeisterin zum Haupt-Wahlkampfthema.

Wansner ist freilich Politik-Veteran und weiß, dass er auf verlorenem Posten kämpft. In zehn Tagen wird in Berlin gewählt, der Ausgang scheint offen zu sein, Regierungschef Michael Müller von der SPD bangt um sein Amt. In Friedrichshain-Kreuzberg zweifelt niemand daran, dass die Grünen hier wieder klar vorn liegen und ihre Bürgermeisterin im Amt bleiben wird. Der CDU-Kreisvorsitzende Wansner dürfte bangen, ob die Partei ihr Ergebnis von 2011 halten kann, 7,4 Prozent.

Für Konservative ist Herrmann eine verbiesterte Ideologin

Kritiker wie der Christdemokrat Wansner sagen, dass die Grünen hier sowieso gewählt werden, nicht wegen, sondern trotz der Bürgermeisterin. Die 52-Jährige ist für konservative Politiker in Berlin das Sinnbild einer verbohrten Ideologin, die Kreuzberg und am liebsten ganz Berlin auf linksgrün drehen will.

Herrmann kommt zum Gespräch am grünen Wahlkampfstand mit dem Rad, "Dienstfahrrad" steht auf dem Rahmen, einen Dienstwagen gibt es nicht. Es ist ein Rad mit einem Carbon-Riemen-Antrieb. Sie schlägt vor, mal eine Runde zu fahren. Ihr heiterer Ton entspricht dem Bild, das Weggefährten und Parteifreunde zeichnen. Es ist absurd: Weil Herrmann lesbisch ist und kämpferisch, wird sie oft als verbiesterte Linke beschrieben.

Dabei neigt sie eher dazu, lange alles auspalavern zu wollen, bis alle überzeugt sind, mit Engelsgeduld. Seit drei Jahren ist die Politologin im Amt und im Rückblick dabei sieht es aus, als wäre sie keinem Streit aus dem Wege gegangen und hätte weitere gesucht, wenn es zu ruhig wurde. Sie bekam keine Genehmigung für die Idee, staatliche Verkaufsstellen für Marihuana einzurichten. Das sollte den Dealern den Markt entziehen.

"Kreuzberg ist eine Art Seismograf für Berlin"

Sie wurde zur Lieblingsgegnerin des CDU-Innensenators Frank Henkel, stritt mit ihm über die Polizeitaktik am Görli und ging über ihre Belastungsgrenzen, als über Monate um ein Flüchtlingscamp auf dem Kreuzberger Oranienplatz gerungen wurde. Als Flüchtlinge damit drohten, vom Dach einer besetzten Schule zu springen, um ihre Forderungen durchzusetzen, wurden es schwer erträgliche Tage, eine Überforderung, sagt sie. Heute würde sie ein solches Camp nicht dulden.

Aber sie will weiter versuchen, neue Wege zu gehen, wenn die alten Konzepte nicht funktionieren. Herrmann sagt, dass ihr Bezirk eine Art Seismograf für die Entwicklung einer europäischen Metropole ist. Hier kämen die Entwicklungen zuerst, die bald auch den Rest Berlins erfassen - seien es die vielen Touristen oder der Boom auf dem Wohnungsmarkt, der in Friedrichshain-Kreuzberg die Mieten explodieren lässt. Die Kieze verändern sich rasant, und viele Alteingesessene sorgen sich, dass nichts mehr übrig bleibt von dem, was Kreuzberg ausmacht. "Ich erwarte, dass die Leute, die neu hierherziehen, sich engagieren für ihr Viertel." Sind sie nicht wegen der Besonderheit gekommen?

Die Idee, Verkaufsstellen für Marihuana einzurichten, hat sie nicht aufgegeben. Sollten die Grünen im Land eine Koalition eingehen, möchte Herrmann das in den Bündnisvertrag einbringen. Für den "Görli" sollen bald die Parkläufer angestellt werden, auch um die Leute daran zu erinnern, "ihren fucking Müll mitzunehmen". Auch Polizei werde gebraucht, sagt sie, mit einem anderen Konzept. Alles soll zusammengehen im grünen Kreuzberg.

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