Süddeutsche Zeitung

Berlin 2030 Klimaneutral:Rückschlag für schnellen Klimaschutz

Warum der Volksentscheid in der Hauptstadt so deutlich gescheitert ist - und wie es jetzt weitergeht.

Von Miriam Dahlinger, Berlin

Die Enttäuschung stand den etwa 200 Menschen in roten Warnwesten, die in einer ehemaligen Generatorenhalle in Kreuzberg gebannt auf eine riesige Zahlentabelle starrten, ins Gesicht geschrieben. Da hatten sie die Hauptstadt großflächig grün plakatiert und noch bis zur Schließung der Wahllokale mit Flyern dafür geworben, Berlin 2030 klimaneutral zu machen - und dann waren sie am Ende doch gescheitert. Zwar stimmten etwas mehr Menschen für ihr Anliegen als dagegen, das nötige Zustimmungsquorum verfehlten sie aber deutlich.

Am Sonntag konnten die Berlinerinnen und Berliner über eine Gesetzesänderung abstimmen, die die Hauptstadt schon 15 Jahre früher als bisher vorgesehen klimaneutral machen sollte. Ins Leben gerufen hatte den Volksentscheid die Initiative "Klimaneustart Berlin".

Überdurchschnittlich große Teilnahme

Was das Ergebnis zeigte: Das Thema Klimaschutz mobilisierte die Berlinerinnen und Berliner ebenso, wie es sie spaltete. Nach vorläufigen Ergebnissen sprachen sich 50,9 Prozent der Wählerinnen und Wähler für den Vorschlag aus, 48,7 Prozent stimmten dagegen. Das waren nicht nur etwa 165 000 Personen zu wenig für das Quorum, sondern auch deutlich mehr "Nein"-Stimmen als vorher angenommen. Experten hatten erwartet, dass die Gegner eher zu Hause bleiben würden, als aktiv dagegen zu stimmen. Die Wahlbeteiligung war für einen Volksentscheid abseits einer anderen Wahl mit 35,8 Prozent überdurchschnittlich.

Ein positiver Ausgang des Plebiszits hätte massiv Druck auf den künftigen Senat ausgeübt. "Berlin sagt Ja zum Klimaschutz, aber Nein zu falschen Versprechen", sagte der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers am Wahlabend. Die Berliner wüssten, so Evers weiter, "dem Klima wäre mit unrealistischen Zielen oder unbezahlbaren Gesetzen nicht geholfen". Die SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey äußerte sich ähnlich, fügte aber hinzu: "Wir wissen um die Dringlichkeit." Aktuell verhandeln CDU und SPD in Berlin über eine neue Regierung. Beide hatten vor dem Volksentscheid ein Sondervermögen für den Klimaschutz angekündigt, der bis zu zehn Milliarden Euro umfassen soll - vielleicht auch, um der Abstimmung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Bettina Jarasch, die Landeschefin der Grünen, kündigte nach dem Volksentscheid jedenfalls an, dem künftigen Senat bei der Umsetzung "auf die Finger schauen" zu wollen. 2022 hatte der rot-grün-rote Senat das Ziel des Volksentscheids noch abgelehnt, zuletzt solidarisierten sich Grüne und Linke aber mit dem Bündnis.

Experten und Kritiker hatten sich im Vorhinein geäußert, dass eine so massive Reduktion des CO₂-Ausstoßes in nur sieben Jahren unrealistisch sei. Es werde ein Gesetz zur Abstimmung gestellt, dessen Einhaltung unmöglich sei. Auch die Umsetzung wäre sehr teuer geworden: Laut den Initiatoren hätten die Kosten für Klimaneutralität 113 Milliarden Euro umfasst; Berlins gesamter Haushalt liegt derzeit bei etwa 38 Milliarden Euro im Jahr. Darüber hinaus fehle es schon heute an ausgebildeten Handwerkern.

Kritisiert wurde zudem, dass beim Volksentscheid nicht über konkrete Maßnahmen abgestimmt wurde. Zwar veröffentlichte die Initiative Ideen, wie Klimaneutralität bis 2030 funktionieren könnte, die Ausgestaltung wollten sie aber den Politikerinnen und Politikern überlassen. Das nährte bei vielen Wählerinnen und Wählern die Sorge, dass die sozial Schwächeren am Ende die Kosten tragen könnten. Geld, das in den Klimaschutz gesteckt werde, so die Befürchtung, könnte dem Senat für soziale Aufgaben fehlen.

Die Initiative mache "natürlich" weiter

Außerdem fürchteten einige, dass der Klimavolksentscheid ein Verbot des Autos zur Folge haben könnte. Vor allem in den Außenbezirken sind viele Pendler auf ihr Auto angewiesen. In den Resultaten des Volksentscheids zeigte sich zudem ein ähnliches Muster wie schon bei der Wiederholungswahl im Februar: Die eher konservativ geprägten Berliner Außenbezirke stimmten mehrheitlich mit Nein, in der eher grün geprägten Innenstadt votierten mehr Menschen für die ehrgeizigeren Klimaziele.

Nachdem die ersten Tränen bei den Aktivisten in Kreuzberg getrocknet waren, bemühten sich die Initiatoren des Volksentscheids am Sonntagabend um einen positiven Blick nach vorn. "Wir machen natürlich weiter, wir kämpfen weiter", sagte Jessamine Davis, eine Sprecherin der Initiative. "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer drückte es so aus: "Wir lassen uns nicht aufhalten von den Kritikern und Nörglern. Lasst uns nicht vergessen, was wir hier möglich gemacht haben." Dafür gab es viel Applaus. Zumindest von den Anwesenden.

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