„All Eyes on Gaza“„Ich verstehe euren Schmerz“

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Blick auf den Demozug auf der Straße Unter den Linden.
Blick auf den Demozug auf der Straße Unter den Linden. (Foto: Ralf Hirschberger/AFP)

Eine Großdemonstration der Linken in Berlin verläuft ohne größere Zwischenfälle – dennoch sind die Zwischentöne rau und die Stimmung wirkt aufgeladen. Eine Demonstration in Kreuzberg wird aufgelöst.

Von Katharina Erschov, Berlin

Zwischen Trommelwirbel, dröhnenden Bassgeräuschen und dem nasalen Sound eines arabischen Blasinstruments, das nach Dudelsack klingt, versucht Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner, sich Gehör zu verschaffen. Es ist Großdemotag in Berlin und die Linke hat sich vor dem Neptunbrunnen am Alexanderplatz versammelt, um gegen die israelische Kriegsführung im Gazastreifen zu protestieren. Sie fordert außerdem einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen an Israel, Zugang für humanitäre Hilfe nach Gaza, die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens und „die Freilassung aller politischen Gefangenen und Geiseln“.

„Ich verstehe euren Schmerz“, sagt Schwerdtner in die Menge, doch ihre Stimme wird von Buhrufen übertönt. „Heuchlerin“, schreien einzelne aus der Masse und dann lauter: „Entschuldige dich erst mal.“ Ihre Sätze prallen nun an einer Wand von Protestrufen ab, weil das „Entschuldige dich erst mal“ sich unter den Teilnehmenden bereits verselbstständigt hat. Es ist kaum mehr verständlich, was Schwerdtner überhaupt noch sagen will.

Die Rufe kommen aus der Ecke, in der sich die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) – eine vom Verfassungsschutz beobachtete und als linksextremistisch eingestufte Organisation – positioniert hat. Einem Teilnehmer kommt die Solidarisierung der Linken offenkundig viel zu spät: Es habe andere Großkundgebungen für die Palästinenser in Berlin gegeben, für die sich die Linke nicht starkgemacht habe, kritisiert er und erinnert außerdem an die Szene, als auf einer Veranstaltung in Belgien diesen Monat Schwerdtner ein Palästinenser-Schal um die Schultern gelegt wurde. Eingezeichnet waren darauf Israel und die palästinensischen Gebiete, doch sämtliche israelische Städte waren in Arabisch genannt – so als gäbe es Israel gar nicht. Viele, auch Stimmen aus der eigenen Partei, interpretierten das als antisemitisches Symbol, das die Auslöschung Israels andeuten sollte. Weshalb Schwerdtner diesen Schal vermutlich noch während der Veranstaltung damals ablegte. „Heuchlerisch“ sei ihre Reaktion gewesen, findet der Demonstrationsteilnehmer aus den Rängen der DKP – es ist sein Grund sie auszubuhen.

Der Nahostkonflikt ist in der Linken ein schwieriges Thema

„Wir haben zu lange geschwiegen“, sagt Schwerdtner augenscheinlich dem Unmut der trotzigen Masse nachgebend. „Wir werden unserer Verantwortung gerecht“, erklärt sie und schiebt mechanisch noch ein kraftloses „Hoch auf die internationale Solidarität“ nach, wofür sie zum ersten Mal Applaus erhält.

In der Linken ist der Umgang mit dem Nahostkonflikt ein ambivalentes bis schwieriges Thema. Teile der Partei sehen im jüdischen Staat ein „Siedlerkolonialprojekt“, welches die Palästinenser unterdrückt. Weshalb auch parteiintern zwischen antisemitischen und israelfeindlichen Positionen einerseits und Solidaritätsbekundungen mit der palästinensischen Zivilbevölkerung sowie Kritik an Israels Militäraktionen andererseits geschwankt wird. Im Oktober 2024 verließen mehrere prominente Mitglieder – vermehrt aus Berlin – die Partei, unter anderem wegen Differenzen im Umgang mit dem Antisemitismus.

Dieses Stimmungsbild spiegelt sich auch in den Bannern und Parolen wider, die am Samstag in die Luft gehalten werden. Darauf zu lesen sind Forderungen nach einem Ende der „kolonialistischen Besetzung“ ebenso wie Appelle zum Stopp sämtlicher Waffenlieferungen. Zu sehen ist auch die umstrittene Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“, die einige deutsche Gerichte als antisemitisch einstufen und die als Auslöschungsfantasie gegen einen jüdischen Staat ausgelegt wird. Die Worte „river“ und „sea“ wurden geschwärzt und mit dem Hinweis „Zensur durch deutsche Staatsräson“ versehen.

Eine andere halb vermummte Teilnehmerin hat auf ihrem Banner stehen, dass Israel eine Bedrohung für jüdisches Leben überall sei. Sie findet, dass an den sich nun häufenden Übergriffen gegen Jüdinnen und Juden die israelische Regierung mit ihrer Kriegsführung schuld sei. Mancher würde da von klassischer Täter-Opfer-Umkehr sprechen.

Am häufigsten sind allerdings Plakate zu sehen, die ein Ende des Völkermords in Gaza fordern. Immer wieder schallt aus der Menge „es ist kein Krieg, es ist ein Genozid.“ Viele Einzelpersonen und internationale Organisationen erheben diesen Vorwurf, der juristisch aber nicht entschieden ist.

Linken-Demonstration soll in einer Großkundgebung münden

Die Demonstration in der Innenstadt ist als Zubringerdemo zu einer noch viel größeren Kundgebung „All Eyes on Gaza“ am Großen Stern gedacht, wohin sich die Massen – nach groben Schätzungen der Polizei etwa 60 000 Teilnehmer oder mehr – am Nachmittag auch bewegen. Dazu hat ein Bündnis von etwa 50 Gruppen aufgerufen, darunter propalästinensische Organisationen, Medico International und Amnesty International.

Laut einer Polizeisprecherin sei die Demonstration „mehrheitlich friedlich verlaufen.“ Es habe am Rande etwa 30 „Freiheitsbeschränkungen“ – die meisten davon wegen einer Sachbeschädigung – gegeben. Dennoch wirkte die Stimmung unter den Teilnehmenden teils aufgeladen. Als der Zug aus dem „All Eyes on Gaza“-Lager an einer sehr überschaubaren Zahl von Gegendemonstranten vorbeizieht, buhen vereinzelt Teilnehmer die Gegenseite aus und rufen laut „schämt euch“ auf Englisch. Eine junge Frau schreit den israelische Fahnen schwenkenden Demonstranten etwas auf Arabisch zu und verweigert eine Übersetzung.

„Ich stehe hier, weil ich es unerträglich finde, dass es inzwischen gefährlicher geworden ist, mit jüdischen Symbolen durch die Stadt zu laufen, als Fahnen linksextremistischer und terroristischer Organisationen zu zeigen“, sagt ein junger Mann mit einer Maske und vollständig abgedunkelter Sonnenbrille im Gesicht. Auch er fürchtet Übergriffe und bleibt deshalb lieber anonym. „Man wird auch unter den Gegendemonstranten wenig Anhänger der amtierenden Regierung in Israel finden“, sagt er, dennoch empfindet er es als seine Pflicht, gegen „all die Israelhasser hier“ zu protestieren.

Parteivorsitzende zeigen sich zufrieden

Im Stadtteil Kreuzberg hat die Polizei sogar eine mutmaßlich islamistische Demonstration unterbrochen. Es sollen dort verbotene Parolen gefallen und verfassungswidrige Zeichen gezeigt worden sein. Der Tagesspiegel berichtete, dass dort der Terrororganisation Hamas gehuldigt wurde.

Ob es der Linken mit der Großdemonstration gelingen würde, auch Menschen über die eigene Stammklientel hinaus zu erreichen, war zunächst offen. In der Vergangenheit hatten sich bei ähnlichen Veranstaltungen vor allem viele Engagierte aus migrantischen Gemeinschaften und der linken Szene beteiligt. Doch bei über 60 000 Teilnehmenden – die Linke selbst spricht dieses Mal gar von 100 000 – wird der Erfolg kaum abzustreiten sein. Familien mit Kinderwagen, Mütter mit ihren Kindern und Senioren waren zu sehen. „Wir haben die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung auf die Straße getragen und senden ein deutliches Signal an Friedrich Merz und die Bundesregierung: Stopp aller Waffendeals mit Israel, Druck durch Sanktionen und die Anerkennung Palästinas sind längst überfällig. Deutschland darf sich nicht weiter hinter taktischen Ausflüchten verstecken“, heißt es in einem finalen Statement der Vorsitzenden.

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