Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel war sichtlich erschüttert. Sie sprach am Montag von einem „wirklich schwarzen Wochenende“. Zwischen Donnerstag und Sonntag seien mehr als 30 Polizisten verletzt worden, drei von ihnen schwer. Es besorge und bestürze sie, sagte Slowik Meisel im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, dass der „Respekt und der Blick auf den Menschen, der als Polizist handelt, mir immer mehr verloren zu gehen scheint“.
Selbst für Berliner Verhältnisse waren es heftige Tage. Am Sonntag waren Beamte von Fußballfans des FSV Zwickau angegriffen worden; einem auf dem Boden liegenden Polizisten wurde dabei gegen den Kopf getreten. Am Freitagabend schon war ein Beamter bei einer Auseinandersetzung mit einem 28-Jährigen mit einem Messer lebensgefährlich am Hals verletzt worden. Und einen Tag zuvor hieß es nach Angaben eines Polizeisprechers, ein Beamter sei bei einer propalästinensischen Kundgebung von Demonstranten in die Menge hineingezogen und „niedergetrampelt“ worden.
Der Vorfall sorgte bundesweit für Schlagzeilen, der neue Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) machte ihn bei einer Rede im Bundestag zum Thema. Fälle wie dieser seien „leider kein Einzelfall, sondern passieren immer wieder“. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) schrieb in den digitalen Kanälen von „nichts anderem als einem feigen, brutalen Gewaltakt“. Der Co-Vorsitzende der Landes-SPD, Martin Hikel, meinte, die Attacke sei „nur als Mordversuch zu deuten“.
Der Generalstaatsanwalt ermittelt nach der Demo in Kreuzberg
Inzwischen hat Berlins Generalstaatsanwaltschaft den Fall übernommen, es wird wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Doch mehrere Videos des Vorfalles bei der Demonstration zum Jahrestag der Nakba, der Vertreibung der Palästinenser, lassen Zweifel an der bisherigen Darstellung aufkommen. Demnach hätten aggressive Demonstranten den 36-jährigen Polizisten mit der Rückennummer BE24111 am Südstern im Berliner Stadtteil Kreuzberg in die Menge hineingezogen, zu Boden geworfen und auf ihn eingetreten. Mehrere Kollegen hätten ihn daraufhin retten müssen. „Wir müssen von reinem Glück reden, dass er die Nacht überlebt hat“, sagte Stephan Weh, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Berlin.
Der Beamte erlitt mehrere Prellungen und eine Fraktur an der Hand, Lebensgefahr hat für ihn offenbar jedoch zu keinem Zeitpunkt bestanden. Anders als geschildert, ist auf den Videos auch nicht zu erkennen, dass der durch die Rückennummer klar zu identifizierende Beamte in die Menge hineingezogen wird. Vielmehr dringt der 36-Jährige gemeinsam mit anderen Beamten in die Menge, um einen Protestierenden festzunehmen. Dabei kommt es zum Gerangel. In einem anderen Video ist der Beamte dann zu sehen, wie er mehrmals mit der Faust auf den Kopf eines Demonstranten einschlägt.
Die Polizei weist darauf hin, dass die Videos nicht den gesamten Ablauf des Einsatzes zeigen. Solche Attacken könnten sich in Sekundenschnelle ereignen. Weiter heißt es: „Sollten sich Verdachtsmomente ergeben, die das Einleiten von Ermittlungsverfahren gegen Einsatzkräfte erforderlich machen, so werden diese auch zwingend eingeleitet.“
Clemens Arzt hat an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht selbst den Polizeinachwuchs in Fragen des Versammlungsrechts ausgebildet. Die Kundgebung am vergangenen Donnerstag hat er sich aus Gründen der Feldforschung angeschaut, sein Fazit ist klar: „Hätte man die Menschen laufen lassen, dann hätte es vermutlich nur ein paar Meinungsdelikte gegeben.“ Zum Beispiel Parolen zu Palästina, die untersagt sind. „Das Verbot und das brutale Einschreiten der Polizei gegen unliebsame Meinungen hat erst zu dieser Eskalation geführt.“
Arzt meint, die Berliner Polizei habe durch die seit Jahrzehnten wiederkehrenden Einsätze zum 1. Mai eigentlich gelernt, mit solch angespannten Lagen deeskalierend umzugehen. „Das war das Konzept, wofür wir die Berliner Polizei mal schätzten.“ Doch bei den propalästinensischen Demonstrationen seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gehe sie wesentlich härter vor. „Es gibt die Ansage innerhalb der Polizei: Hier soll eingeschritten werden“, sagt Arzt. „Was mich erschüttert, sind diese gezielten Schläge ins Gesicht, immer wieder und wieder, statt Menschen zurückzudrängen. Nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern als normales Mittel der Zwangsanwendung.“
Die CDU in Berlin will nun das Versammlungsrecht verschärfen
Burkard Dregger, innenpolitischer Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, verteidigt das Vorgehen der Polizei. „Die Menschen müssen lernen, dass den Anweisungen der Beamten Folge zu leisten ist“, sagt Dregger. „Es gibt kein Recht auf Widerstand. Die Polizei vertritt den Rechtsstaat.“ Dass sich der Vorfall am vergangenen Donnerstag anders ereignet haben könnte als gedacht, ficht Dregger dabei nicht an. „Es gibt immer wieder Gewalttaten aus der Community heraus.“
Die propalästinensischen Proteste in Berlin sind nun auch Anlass für eine Änderung des Versammlungsfreiheitsgesetzes. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD arbeitet Dregger seit Monaten an einer Verschärfung, die demnächst umgesetzt werden soll. „Die Versammlungsfreiheit wird nicht abgeschafft“, sagt Dregger. „Es wird ein paar Anpassungen geben.“