Berlin:Wenn Pinkeln politisch wird

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Dass Frauen öffentliche Toiletten wie diese auf dem Tempelhofer Feld nicht kostenlos benützen dürfen, verärgert Linke und SPD in Berlin. (Foto: Rolf Kremming/imago images)

Beim kostenlosen Toilettenbesuch klafft eine Geschlechterlücke. Die Hauptstadt will das nicht länger hinnehmen.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Politiker eröffnen gerne Dinge - Autobahnteilabschnitte, neue Bahntrassen oder, wie unlängst im Fall von Bettina Jarasch, einfach nur eine öffentliche Toilette. Es sei das erste Band, das sie in ihrem neuen Amt durchschneiden dürfe, freute sich Berlins Verkehrssenatorin bei der feierlichen Einweihung im Ortsteil Wedding. Und tatsächlich schien das Berliner Klowesen eine kleine Erfolgsgeschichte zu sein: 278 neue Bezahltoiletten gibt es in der Stadt nun, insgesamt sind es mehr als 400 öffentliche WCs. Europaweit wird Berlin da nur von Paris übertroffen. Doch inzwischen sehen die neuen Örtlichkeiten schon wieder ganz schön alt aus.

Das liegt einmal an einer frappierenden Einbruchsserie. Mehr als 8000 Mal wurden die Kassen der Toilettenhäuschen seit Januar geknackt, davor waren es vielleicht 40 bis 50 Fälle im Jahr. Ein Toilettengang kostet zwar nur 50 Cent und im Durchschnitt werden gerade einmal zehn Euro erbeutet. Viel ärgerlicher aber ist, dass die Klos dann nicht mehr genutzt werden können. Die betreuende Firma kommt mit den Reparaturen kaum mehr hinterher, trotz erster Festnahmen. Nun wird überlegt, ob nur noch mit Karte gezahlt werden sollte. Das würde jedoch Menschen ohne Bankkonto vom Klobesuch ausschließen.

Langfristig problematischer für Berlins Toilettenstrategie ist jedoch eine andere Entwicklung: Das Pinkeln wird politisch. Nach der Linken im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf fordert nun auch die SPD in Pankow Geschlechtergerechtigkeit für städtische WCs. "Noch immer ist das Stadtbild männlich geprägt", schreiben die Genossen. Denn während es für Männer an vielen öffentlichen Toiletten auch kostenlose Pissoirs gebe, müssten die Frauen für "eines der dringendsten Bedürfnisse der Menschen" zahlen.

Dieser deutliche Vorteil für Männer sei 2017, als die neuen WC-Anlagen konzipiert wurden, "sehr kontrovers" diskutiert worden, sagt Jan Thomsen von der Senatsverwaltung für Verkehr. Denn eine inklusive Toilettenstrategie ist eine kniffelige Angelegenheit. Bislang galten nur Männer als sogenannte Wildpinkler, denen eine kostenlose Alternative geboten werden müsse; für Frauen seien offene Toiletten zudem ein Sicherheitsrisiko. Auch ein vollständiger Verzicht auf die Benutzungsgebühr ist schwierig, da frei zugängliche Toiletten schnell zu anderen Zwecken genutzt würden, erklärt Thomsen. "Deshalb haben wir damals diese Gerechtigkeitslücke in Kauf genommen."

Das rächt sich nun. Die Berliner Linke Katalin Gennburg hält bereits die Problemanalyse für diskriminierend und fragt: "Woher kommt eigentlich die Annahme, dass Frauen keine Wildpinkler sind?" Inzwischen hat der Senat dem Drängen von Gennburg und anderen nachgegeben und rund 20 öffentliche Toiletten mitsamt kostenlosem Urinal für Frauen ausgeschrieben. Sie sollen von kommendem Frühjahr an in Parks aufgestellt und getestet werden.

Paris hat das Problem bei seinen 400 Toilettenhäuschen anders gelöst. Die Benutzung der "Sanisettes" ist seit 2006 kostenlos, dafür sind die Klo-Regeln strikt: Die Tür öffnet automatisch nach 20 Minuten, anschließend wird der Toilettenraum komplett durchgespült.

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