Süddeutsche Zeitung

Berlin:Gauck geht - und macht alles richtig

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Ein gut gelaunter Bundespräsident kündigt seinen Abgang an. Vor Schloss Bellevue wird schon über mögliche Nachfolger spekuliert. Es wird klar: Leicht wird die Suche nicht.

Von Thorsten Denkler und Benedikt Peters

Die Flügeltür öffnet sich. Gauck lächelt, als er den Großen Saal im Schloss Bellevue betritt. "Guten Tag", ruft er den wartenden Journalisten noch im Gehen zu. Der Bundespräsident scheint gute Laune zu haben. Warum auch nicht? Bestes Frühsommerwetter draußen. Und hier drinnen er, ein Staatsoberhaupt, das mit sich Reinen ist. Jetzt, da er verkündet, dass er keine zweite Amtszeit anstrebt.

Gauck stellt sich hinter das graue Metallpult mit dem goldenen Bundesadler auf der Frontseite. Links hinter ihm die Standarte des Bundespräsidenten. Am 18. März sei er gewählt worden, beginnt er. Seitdem "übe ich das Amt mit Respekt und auch mit Freude aus". Und: Er will es auch weiter ausführen. "Bis zum 17. März 2017."

Schon am Wochenende war über Gaucks Pläne berichtet worden. Die Debatte um mögliche Nachfolger ist längst im Gange. Draußen, vor dem Schloss Bellevue, steht Barbara Blobner vor dem Gittertor und knipst mit dem Smartphone die weiße Schlossfassade. "Dass er geht, ist schon schade", sagt die Mittfünfzigerin aus Mainz. "Gauck ist ein guter Bundespräsident, weil er immer wieder die aktiven Politiker kritisiert hat."

Ein paar Meter weiter schaut sich Sebastian Ovelgönne das Schloss an, kurz geschorene Haare, Gelfrisur. Er ist Ende zwanzig und kommt aus Niedersachsen. "Gauck macht einen sehr guten Job", sagt er. Frank Viehleder ist heute mit dem Fahrrad hier. "Gauck ragt heraus, er ist für mich auf einer Höhe mit Weizsäcker", sagt der Mann mittleren Alters aus Naumburg. "Er war mit Abstand der Beste, den wir in den letzten Jahren in dem Amt hatten."

Gauck aber will nicht länger. Die Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen. "Ich empfinde es als große Ehre diesem Land der Bundesrepublik Deutschland zu dienen." Er habe das Land dank der vielen engagierten Menschen umfassender und intensiver erfahren als je zuvor.

Der Wechsel im Amt des Bundespräsidenten sei "in diesem Deutschland" kein Grund zur Sorge. "Er ist demokratische Normalität." Es sei ihm aber bewusst, dass die Lebensphase zwischen dem 76. und dem 82. Lebensjahr eine andere sei, als die, in der er sich jetzt befinde. Jetzt gehe es ihm gut. Er lässt durchblicken, dass er seine Fitness nicht garantieren könne für eine volle zweite Amtszeit.

Er wünscht sich, "dass wir die aktuellen Herausforderungen mit Zuversicht und Vertrauen annehmen". Und endet: "Wir haben gute Gründe, uns Zukunft zuzutrauen." Eine Sekunde oder zwei wartet er, lächelt noch einmal. Dann dreht er sich zur Seite und verlässt den Saal. Die Flügeltür schließt sich.

Gaucks Amtszeit wird also enden im kommenden Jahr. Am 17. März 2017, um Punkt 24:00 Uhr. Genau fünf Jahre nach seinem Amtsantritt am 18. März 2012. Gewählt wird sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin zuvor am 12. Februar in der Bundesversammlung.

Tatsächlich wird mit Gauck zum ersten Mal seit Johannes Rau 2004 wieder ein Bundespräsident sein Amt wohl ganz regulär verlassen. Einfach weil er keine zweite Amtszeit mehr möchte. Eine fast vergessene Erfahrung.

Als Ende Mai 2010 Horst Köhler zurücktrat, war das ein Schock. Damals, auch ein Montag, hatte bis zur letzten Sekunde niemand eine Ahnung, was Horst Köhler in seiner spontan angesetzten Erklärung im Schloss Bellevue sagen würde. Um 14:02 Uhr sprach Köhler die entscheidenden Sätze: "Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten." Pause, dann setzte er nach: "Mit sofortiger Wirkung."

Die Vorgänger Gaucks sind auch vor dem Schloss ein Thema. "Dass Köhler damals gegangen ist, einfach so, das habe ich nicht verstanden", sagt Frank Viehwege. Seine Ehefrau neben ihm nickt.

Ein Bundespräsident, der hinwirft, das hatte es noch nie gegeben - bis dahin. In der Verfassung ist so ein Fall nicht mal richtig geregelt.

Köhlers Gründe für den Rücktritt waren ebenso überraschend wie der Rücktritt selbst. Es ging um ein unbedachtes Hörfunk-Interview während einer Reise nach Afghanistan kurz vorher. Köhler hatte den Eindruck erweckt, er sei für Militäreinsätze der Bundeswehr, um wirtschaftliche Interessen Deutschlands zu schützen. Es hagelte Kritik.

Damals hatte keiner geahnt, dass auch Köhlers Nachfolger vor Ende seiner Amtszeit zurücktreten würde. Christian Wulff schmiss am 17. Februar 2012 das Handtuch. Am Vorabend hatte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Der Verdacht: Vorteilnahme im Amt. Es ging um Wulffs Kredit für sein Eigenheim in Burgwedel, seine seltsamen Freunde, seine Urlaube. Vor Gericht siegte Wulff später. Aber schon die Anfrage der Staatsanwaltschaft war ein Novum.

Auch wenn die Sache später geklärt wurde: Die monatelangen Verdächtigungen und Debatten drohten, das Amt zu beschädigen. Es gab damals sogar eine Debatte, ob das Amt des Bundespräsidenten nicht sowieso überflüssig sei.

Die Touristen vor dem Schloss diskutieren lieber darüber, wer Gaucks Nachfolger werden könnte. "Norbert Lammert fände ich passend", sagt Frank Viehleder. "Der hat als Bundestagspräsident schon etwas Überparteiliches." Sebastian Övelgönne hingegen wünscht sich das politische Comeback eines Verstoßenen. "Den Guttenberg fände ich nicht schlecht. Wenn nur die Plagiatsaffäre nicht gewesen wäre." Und Barbara Blobner sagt: "Mir fällt niemand ein, der ähnlich gut sein könnte wie Gauck."

Köhlers Rücktritt war der eines bescheidenen Mannes. Sein einziger Grund für den Rücktritt: Er vermisste die Achtung vor dem Amt. Wenn Köhler sein Amt zu schnell aufgegeben hat, hat Wulff dagegen definitiv zu lang mit diesem Schritt gewartet.

Und Gauck? Der hat alles richtig gemacht. Sein Job war, dem Amt die Würde zurückzugeben. Das hat er geschafft. Jetzt ist er 76 Jahre alt. Dass er nicht weitermacht, ist ihm kaum zu verdenken.

Wer in der Union jetzt jammert, dass Gauck nicht noch eine Amtszeit dranhängt, dem muss gesagt werden: Sie hätten ihn schon 2010 als Bundespräsidenten haben können. Dann wäre Gauck jetzt vermutlich in seiner zweiten Amtszeit. Und die Parteien müssten nicht zum Bundestagswahljahr 2017 einen neuen Kandidaten finden. Nach Wulff war klar: Fast egal, wer Präsident wird, es wird ein besserer werden.

Gauck hat die Latte jetzt wieder höher gelegt. Viel höher.

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