Berlin:Die Pädagogin

Die Bundeskanzlerin erinnert Trump an die gemeinsamen Werte, der Außenminister stellt sich auf schwierige Zeiten ein, der Bundespräsident erwartet, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen muss.

Von Stefan Braun und Nico Fried, Berlin

Ruhe, Kühle, Gelassenheit - wenn es brenzlig wird, sind das Angela Merkels engste Begleiter. Und so beginnt die Bundeskanzlerin auch nach der Wahl Donald Trumps ihren Auftritt betont gefühlsarm, obwohl sein Erfolg den Rest der Welt in helle Aufregung versetzt hat. Die deutsche Regierungschefin, in knallrotem Blazer, sagt exakt um zwölf Uhr mittags: "Ich gratuliere dem Gewinner der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, zu seinem Wahlsieg." Ein bisschen lang ist der Satz; ansonsten bleibt es höflich und harmlos, nirgends ein Für, nirgends ein Wider.

Dann jedoch macht die Kanzlerin, was sie so vielleicht noch nie gemacht hat: Sie zitiert Selbstverständlichkeiten, die im Wahlkampf dieses Donald Trump keine Selbstverständlichkeiten waren. Deutschland und Amerika, so die Kanzlerin, seien durch Werte verbunden: "Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung." Das klingt nüchtern, klingt wie immer, eben selbstverständlich - und erinnert in wenigen Worten doch an alles, was Trump für viele so bedrohlich gemacht hat.

Auf der Basis dieser Werte, so Merkel weiter, biete sie Trump eine enge Zusammenarbeit an, damit beide Länder die großen Aufgaben der Zeit gemeinsam lösen könnten. Also "das Streben nach wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen, das Bemühen um eine vorausschauende Klimapolitik, den Kampf gegen den Terrorismus, Armut, Hunger und Krankheiten". Was unverfänglich klingt, ist unmissverständlich. Merkel als Pädagogin, die Trump auf den richtigen Pfad führt? Den Versuch will sie offenbar machen.

Dabei bleibt offen, ob die Kanzlerin diesen Moment schon länger geplant hat. Immer wieder ist sie in den vergangenen Monaten auch in kleiner Runde gefragt worden, wie sie die Chancen von Trump sehe und wie sich die Bundesregierung darauf vorbereite. Viel war ihr da nicht zu entlocken, schon gar keine Vorverurteilung Trumps, selbst dann nicht, als er sie persönlich angegriffen hatte. In der Regel ist sie in solchen Momenten besonders leise.

Merkel ist Trump noch nicht begegnet, Hillary Clinton dagegen kennt sie seit Jahren. Clinton würdigte sie in einer kurzen Passage in ihrem letzten Buch, und es gehörte nicht viel Fantasie dazu, die Sympathie der Kanzlerin bei der demokratischen Bewerberin zu verorten. Den öffentlichen Warnungen mancher Kabinettskollegen vor Trump allerdings schloss sich Merkel nie an. Das war auch ihrem Verständnis des Amtes geschuldet, das jede Einmischung in den Wahlkampf in einem anderen Land eigentlich verbietet (anders als Hollande, der Trump angegriffen hat).

Dabei drohen erhebliche Verwerfungen. Geht man von den Wahlkampfaussagen Trumps aus, ist das Freihandelsabkommen TTIP, für das Merkel sich stets eingesetzt hatte, erledigt. Völlig offen ist außerdem das künftige Verhältnis der USA zu Russland, das gilt für den Ukraine-Konflikt wie für Syrien. In der Ukraine waren es in der Vergangenheit fast immer Politiker der US-Republikaner, die im Gegensatz zu Merkel zu einer härteren Gangart gegen Moskau drängten und die Regierung in Kiew mit Waffen ausstatten wollten. Diesem Druck widersetzte sich Obama im Schulterschluss mit Merkel. Ob sich das nun ändert, ist offen. Auch das ein Grund, warum sich Merkel so zurückhielt.

German Chancellor Merkel and FM Steinmeier arrive for the weekly cabinet meeting at the Chancellery in Berlin

Sie erinnerte Trump in ihrer Gratulation an die gemeinsamen Werte: Kanzlerin Merkel. Der Außenminister erwartet nun mehr Unvorhersehbares.

(Foto: Axel Schmidt/Reuters)

Erstaunlich anders war das beim deutschen Außenminister. Untypisch für ihn hatte Frank-Walter Steinmeier die aggressiven Töne Trumps in den Sommermonaten mehrfach attackiert, hatte vor der spaltenden Rhetorik des Amerikaners gewarnt und ihn als "Hassprediger" bezeichnet. Davon ist am Mittwochmorgen, als der Minister sich äußert, nicht mehr die Rede. Auch der SPD-Politiker will kein Öl mehr ins Feuer gießen. Ja, es sei eine lange Nacht gewesen und das Ergebnis sei anders, als es sich viele in Deutschland gewünscht hätten, erklärt der Außenminister. Gleichwohl "akzeptieren wir dieses Ergebnis".

Anders als Merkel spricht Steinmeier allerdings an, wie schwer die nächste Zeit werden dürfte. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass amerikanische Außenpolitik weniger vorhersehbar wird", erklärt der Minister. Im Übrigen werde Amerika geneigt sein, "häufiger alleine zu entscheiden". Was das für Berlin bedeuten könnte, erläutert wenig später Bundespräsident Joachim Gauck. Er sagt, es sei "ziemlich offensichtlich", dass Deutschland und Europa zur Verteidigung ihrer Werte viel mehr Verantwortung übernehmen müssten.

Ob das die Grünen und die Linken genauso sehen, wollten beide am Mittwoch nicht sagen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von einem Weckruf und betonte, jetzt komme es besonders darauf an, die eigenen Überzeugungen wie Liberalität und Weltoffenheit zu verteidigen. Für die Grünen ist Trumps Erfolg besonders schwer zu schlucken - seine Attacken gegen Muslime, Schwarze und Hispanics haben sie als Angriff auf ihre Grundüberzeugungen gewertet.

Von der Linken kamen derweil ganz andere Töne. Ex-Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi zeigte sich vorsichtig optimistisch, dass Trumps Nähe zu Putin für Entspannung sorgen und so den Krieg in Syrien beenden könnte. Wie und auf wessen Kosten - das ließ Gysi allerdings offen.

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